Zahlen, bitte! – Gemeinde Everswinkel wird zur Kasse gebeten

Die Gemeinde Everswinkel hat am 17. Juni 2021 die Feststellung der Unanfechtbarkeit der für das Umlegungsgebiet „Bergkamp III“ getroffenen Entscheidung bekannt gegeben und einen weiteren Schritt zur Fortsetzung der seit langem betriebenen „Nach-uns-die-Sintflut-Politik“ der Gemeinde Everswinkel vollzogen: Die im Plangebiet „Bergkamp III“ liegenden landwirtschaftlichen Teilflächen können nun den Festlegungen des Bebauungsplans entsprechend in überwiegend Einfamilienhausgrundstücke parzelliert und anschließend an gut situierte Nachfrager vermarktet werden.

Link: Übersicht über die im Plangebiet liegenden Teilflächen

Voraussetzung zum „Kasse machen“

Mit dem im Umlegungsausschuss gefassten Beschluss über die Herstellung der erschließungs- und grundstücksmäßigen Bebaubarkeit der Grundstücke im Plangebiet wurde die letzte Hürde für die Umwandlung einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche in Bauland überwunden und der Weg frei gemacht für eine weitere irreversible Naturzerstörung am Ortsrand.

Die ortsübliche Bekanntmachung der Unanfechtbarkeit des im Umlegungsausschuss gefassten Beschlusses (§ 71 Abs. 1 BauGB) führt zugleich zur Begründung der Fälligkeit der im Umlegungsplan festgesetzten Geldleistungen an die im Verfahren beteiligten Grundstückseigentümer. Mit anderen Worten: Im Rahmen der „kapitalistischen Landnahme“[1] wird Kasse gemacht. Der Rubel bzw. der Euro rollt.

Abschöpfung des Planwertgewinns

Bei der Umsetzung des Baugebietes „Bergkamp III“ hat sich die Gemeinde Everswinkel entschieden, die Baulandflächen im Rahmen eines Umlegungsverfahrens zu mobilisieren und damit weitgehend auf die Abschöpfung der durch die Aufstellung des Bebauungsplans erfolgten Wertsteigerungen zu verzichten und diese den bisherigen Eigentümern zukommen zu lassen.[2]

Ziel eines solchen Umlegungsverfahrens ist es, durch einen Umlegungsplan einerseits den beteiligten Eigentümern selbständig bebaubare Grundstücke zu verschaffen und andererseits der Kommune den Erwerb der Grundstücksflächen zu ermöglichen, die für die Erschließung des Plangebietes erforderlich sind.

Im Rahmen des Umlegungsverfahrens sind die bisherigen Eigentümer verpflichtet, die im Plangebiet liegende Fläche, die für öffentliche Zwecke benötigt wird, an die Gemeinde zu verkaufen.

Die Übertragung bisher landwirtschaftlich genutzter Fläche, die von der Gemeinde für Straßen, Grünanlagen, Regenrückhaltebecken etc. benötigt wird, erfolgt in der Regel zum Preis für Rohbauland (Erschließungsumlegung).[3] Der Wert von Rohbauland liegt bei etwa 80 % des Bodenrichtwertes für vergleichbare Baulandflächen (ohne Anteil der öffentlichen Beiträge).[4]

Bereits durch den Verkauf der rund 23.000 qm[5] benötigten Erschließungsfläche im „Bergkamp III“ fließt somit den bisherigen Grundstückseigentümern ein Vielfaches des für landwirtschaftliche Fläche geltenden Bodenrichtwertes zu.

Noch exorbitanter ist das Abschöpfungspotenzial der planungsbedingten Bodenwertsteigerungen im Baugebiet „Bergkamp III“ durch die Schaffung von Baurecht für rund 73 Grundstücke auf einer Fläche von ca. 40.000 qm[6]. Da das Umlegungsrecht keine Verpflichtung für die Eigentümer zum Verkauf der Baugrundstücke an die Gemeinde vorsieht, liegt es im Ermessen des jeweiligen Grundstückseigentümers, ob er zu „marktüblichen Konditionen“ verkauft oder ob er die Baugrundstücke in der spekulativen Hoffnung auf weitere zukünftige Wertsteigerungen „hortet“.

In jedem Fall haben die bisherigen Eigentümer durch die planerische Umwidmung ihrer Grundstücke von Acker- zu Bauland quasi „über Nacht“ einen Wertzuwachs in Millionenhöhe erzielt.

Gewinn privatisiert – Verlust sozialisiert

Die von der Mehrheit der Kommunalpolitiker getroffene Entscheidung, mit der Aufstellung des Bebauungsplans „Bergkamp III“ einigen wenigen Grundstückseigentümern eine atemberaubende Bodenwertsteigerung zukommen zu lassen, entpuppt sich aus der Sicht der Everswinkeler Bürger ganz offensichtlich als folgenreiches Verlustgeschäft.[7]

Allein der Ankauf der notwendigen Erschließungsflächen und die Durchführung der Erschließung durch die Gemeinde Eveswinkel führen zu einer spürbaren Belastung des kommunalen Haushalts. Durch die Erhebung von Erschließungsbeiträgen kann sich die Gemeinde lediglich einen Teil der Kosten für Erschließungsanlagen zu einem späteren Zeitpunkt von den Bauherren erstatten lassen.

Noch stärker zu Buche schlägt der Ankauf einer beträchtlichen Anzahl von Baugrundstücken im Bergkamp III durch die Gemeinde. Da die bisherigen Eigentümer frei entscheiden können, ob sie die durch die Umlegung entstandenen Baugrundstücke selbst am „freien Markt“ anbieten, sie aus spekulativen Gründen ungenutzt lassen oder einige Grundstücke zu einem „angemessenen Angebot“ der Gemeinde überlassen, befindet sich die Gemeinde in einer recht schwachen „Verhandlungsposition“.

Nach dem Willen des Bürgermeisters sollen mindestens 45 Grundstücke durch die Gemeinde Everswinkel angekauft und anschließend durch die Gemeinde vermarktet werden.[8] Neben der Zahlung eines entsprechend hohen Kaufpreises war ganz offensichtlich auch die Übertragung einer bisher im Eigentum der Gemeinde befindlichen, außerhalb des Plangebietes liegenden Spielplatzfläche erforderlich, um die Forderungen eines der am Umlegungsverfahren Beteiligten zu befriedigen.[9] Statt einer Abfindung in Geld erfolgte in diesem Fall die Einbringung eines bisher im Eigentum der Gemeinde befindlichen „Filetgrundstückes“.

Link: Außerhalb des Plangebietes liegende Fläche

Bisher wurde weder von der Verwaltung eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für das Baugebiet „Bergkamp III“ vorgelegt, noch wurde eine solche von den Kommunalpolitikern eingefordert. Ganz offensichtlich geht es bei der Ausweisung einer weiteren Siedlungsfläche in erster Linie um die Bedienung von kurzfristigen Partikularinteressen auf Kosten der Allgemeinheit und keineswegs um eine nachhaltige Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls.

Von „Kostenwahrheit“ weit entfernt

Nach wie vor glaubt die Mehrheit der kommunalpolitischen Entscheidungsträger in Everswinkel, mit den scheinbar erfolgreichen Konzepten und Strategien der 1980 er und 1990 er Jahre auch die Zukunft gestalten zu können, obwohl sich die mittel- und langfristigen Perspektiven vor allem vor dem Hintegrund der demografischen Entwicklung grundlegend von den bekannten Mustern der Vergangenheit unterscheiden.[10]

Zahlreiche Studien belegen die Fehleinschätzungen von Kommunalpolitikern im Hinblick auf die Folgewirkungen der Ausweisung von Neubaugebieten auf der „grünen Wiese“. Die Kosten für die erstmalige bauliche Herstellung von Infrastruktur, wie auch die Kosten ihres Betriebes, ihre Unterhaltung und Instandsetzung sowie ihrer Erneuerung über den gesamten Lebenszyklus der Anlage bzw. Einrichtung („Folgekosten“) übersteigen bei weitem die Einnahmen durch erhoffte Einwohnerzuwächse.[11]

Um den kommunalen Entscheidungsträgern einen realistischen Blick auf die Folgen ihrer Baulandausweisungen zu ermöglichen, werden von den einzelnen Bundesländern den Kommunen kostenfrei praxiserprobte Kostenrechner zur Verfügung gestellt. Mit ihrer Hilfe lassen sich die langfristigen finanziellen Auswirkungen von Siedlungsentwicklungen bereits in der Planungsphase berücksichtigen.[12]

Derartige Kostenbetrachtungen werden bei den kommunalen Abwägungsentscheidungen über geplante Baugebietsausweisungen in Everswinkel nach wie vor außer Acht gelassen. Von einer „Kostenwahrheit“, wie sie der Rat für Nachhaltige Entwicklung (2004) gefordert hat, kann hier keine Rede sein.[13]

Naturzerstörung zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen

In Everswinkel geht es in Anbetracht einer stagnierenden und zukünftig weiter rückläufigen Bevölkerung und der bereits in den letzten Jahren über den Bedarf hinausgehenden neu geschaffenen Wohnungen keineswegs um die Beseitigung einer Wohnungsnot.[14]

Es geht vielmehr um die Schaffung von Möglichkeiten für einkommensstarke Grundstücksnachfrager die in ausreichendem Maße vorhandenen liquiden Mittel in „Betongeld“ zu verwandeln. Neben der Suche nach einer sicheren Wertanlage steht die Befriedigung des Wunsches nach noch größeren Wohnungen.

Dabei sollte auch in Everswinkel die Frage im Vordergrund stehen, ob wir es uns angesichts der drohenden Klimakatastrophe weiterhin leisten können, ungeniert die Natur zu zerstören, um Luxusbedürfnisse und Renditeforderungen einiger weniger zu befriedigen.

weiterführende Beiträge: Glossar „Bergkamp III“

 

[1] Unter diesem Begriff erörterten unterschiedliche Denkerinnen und Denker wie Karl Marx, Pierre Bourdieu, Rosa Luxemburg, Hannah Ahrendt oder in neuerer Zeit Klaus Dörre die Folgen und Funktionen eines Grundprinzips unseres Wirtschaftssystems: aus allem Geld zu machen und das Denken, Handeln, Fühlen darauf auszurichten.
[2] Vorlage 033/2018 der Gemeinde Everswinkel zur Sitzung des Gemeinderates am 29. Mai 2018: Anordnung der Umlegung gem. § 46 BauGB im Zusammenhang mit der Entwicklung der Wohnbaufläche „Bergkamp III“.
[3] Vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005- III ZR 224/04, in BauR 2005, 1450-1452 unter Hinweis auf BGHZ 72, 51, 54; m.w.N.; Dieterich, Baulandumlegung, 2006, Rn 192/232 e).
[4] Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Kreis Warendorf:  Grundstücksmarktbericht 2020 für den Kreis Warendorf, Seite 34.
[5] Gemeinde Everswinkel: Begründung mit Umweltbericht zum Bebauungsplan Nr. 59 „Bergkamp III“, Dezember 2020, Seite 59.
[6] Ebenda.
[7] Siehe hierzu auch den Beitrag „Lottofee“
[8] Gemeinde Everswinkel: Haushaltsplan 2021, Seite 23.
[9] Informationen zur Bebauung des ehemaligen Spielplatzes Dr.-Pöllmann-Straße siehe Vorlage 066/2019 zur Sitzung des Gemeinderates am 08. Oktober 2019.
[10] Zur demografischen Entwicklung der Gemeinde Everswinkel siehe den Beitrag „Everswinkel in der Demografiefalle“.
[11] Nachhaltigkeitsrat Baden-Württemberg: Nachhaltiges Flächenmanagement in Baden-Württemberg: Vom Wachstums- zum Bestandsmanagement, Stuttgart, Oktober 2010, Seite 24.
[12] Siehe z. B. Aktion Fläche, Portal für kommunales Flächensparen: Folgekosten rechtzeitig kalkulieren, abrufbar unter: https://aktion-flaeche.de/folgekosten-rechtzeitig-kalkulieren
[13] Rat für Nachhaltige Entwicklung: Mehr Wert für die Fläche: Das „Ziel-30-ha“ für die Nachhaltigkeit in Stadt und Land. Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung an die Bundesregierung, 2004.
[14] Zur Entwicklung des Wohnungsbestandes in Everswinkel siehe „Stellungnahme im Verfahren der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplans Nr. 59 „Bergkamp III“, Seite 11, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/wp-content/uploads/2020/03/Stellungnahme-Bergkamp-III.pdf