Verwaltung in Everswinkel durch Bürgerbeteiligung überfordert?

In einer im Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung abgegebenen Stellungnahme[1] bezeichnete der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel die Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bauleitplanung als wesentliches Entwicklungshindernis für den ländlichen Raum. [2]

Am Beispiel des Baugebietes „Königskamp“ im Ortsteil Alverskirchen versuchte er zu verdeutlichen, dass die Wahrnehmung der ausdrücklich im § 3 des Baugesetzbuchs für den Bürger vorgesehenen Möglichkeiten, sich durch Eingaben, Kritik, Ideen und Vorschläge an der Planung zu beteiligen, eine Verwaltung von 40 Köpfen in der Kernverwaltung und zwei Leuten im Baubereich vor kaum lösbare Schwierigkeiten stellt.[3]

Störung des kommunalpolitischen Alltags

Allgemein wird die Teilhabe der Bürger am politischen Willensbildungsprozess als zentrale Voraussetzung jeder Demokratie gesehen. Für Kommunen wird es aus zwei Gründen immer wichtiger, ihre Bürger zu beteiligen: Zum einen sind die aktuellen Probleme wie die demografischen Veränderungen, der Klimawandel und die Migration vor Ort so komplex, dass sie nur sinnvoll gelöst werden können, wenn unterschiedliche Sichtweisen und Kenntnisse durch Zusammenarbeit zwischen Kommune und Bürger berücksichtigt werden. Zum anderen fühlen sich Bürger, die sich in Entscheidungsprozesse einbringen können, wahrgenommen und sind stärker motiviert, sich für die Weiterentwicklung der Kommune einzusetzen.

Durch die Teilnahme an kommunalen  Entscheidungen steigt nicht nur das Verantwortungsgefühl der Bürger für das große Ganze, auch die häufig beklagte Politikverdrossenheit nimmt ab. Eine bürgerdemokratische Gemeinschaft kann sich demzufolge nur dann entwickeln, wenn Verwaltungen beteiligungsoffen sind und die Bürger gleichzeitig von sich aus Interesse an freiwilliger Beteiligung haben.

Umso erstaunlicher ist es, dass vor diesem Hintergrund der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel die Beteiligung der Bürger im Bauleitverfahren „Königskamp“ nicht als wichtige Bereicherung, sondern als Störung des kommunalpolitischen Alltags ansieht.[4]

Basisdemokratisches Element der Bürgerbeteiligung nicht genutzt

Die Vorteile der basisdemokratischen Elemente der Bürgerbeteiligung können allerdings nur genutzt werden, wenn Verwaltung und Kommunalpolitiker in der Lage sind, ergebnisoffene Bürgerdialoge zu organisieren und auszuwerten. Jede ernsthafte Beteiligung von Bürgern setzt die Bereitschaft voraus, ein eingeleitetes Bauleitverfahren gegebenenfalls ganz anders zu regeln als ursprünglich gedacht. Es ist also nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch eine offene Planung erforderlich.

Insbesondere wenn im Rahmen der Bürgerbeteiligung auf eindeutig erkennbare Rechtsverstöße hingewiesen wird, sollten die fundiert vorgetragenen Einwände und Hinweise nicht einfach nur kommentarlos abgeheftet werden.

Eine gut vorbereitete Einbeziehung von Bürgern mag eine Menge Zeit kosten. Sie spart aber den Beteiligten oft das Wiedersehen vor Gericht und damit Zeit, Nerven und Verdruss.

Die Folgen, die sich ergeben, wenn Bürgermeister und Verwaltung die im Baugesetzbuch für die Durchführung der Bauleitplanung zwingend vorgeschriebene Beteiligung der Öffentlichkeit lediglich als lästiges Übel statt als Chance sehen, werden am Beispiel des Bebauungsplanverfahrens „Königskamp“ in geradezu schulbuchmäßiger Weise deutlich.

Aus Fehlern der Vergangenheit offensichtlich nichts gelernt

Da Verwaltung und Kommunalpolitiker im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens Nr. 52 „Königskamp“ nicht bereit waren, die von zahlreichen Bürgern vorgetragenen Einwände angemessen zu berücksichtigen, kam es vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen zu einem Normenkontrollverfahren, indem im Jahr 2013 folgerichtig der Bebauungsplan aufgehoben wurde. Das Gericht stellte in seiner Urteilbegründung fest, dass die Gemeindeverwaltung und die Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder sich über geltendes Recht hinweggesetzt hatten. [5]

Diesen Rechtsbruch wollten die Bürger mit ihren Stellungnahmen im Rahmen des Bauleitverfahrens verhindern und mit ihren Anregungen und Hinweisen zur Aufstellung eines gesetzeskonformen Bebauungsplanes beitragen. Die eingereichten Stellungnahmen belegen, dass diese Bürger geradezu der Prototyp des „mündigen Bürgers“ sind, den die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor ihrem geistigen Auge hatten.

Auch im aktuellen Bebauungsplanverfahren Nr. 58 „Königskamp III“ sind bei der Gemeindeverwaltung Stellungnahmen eingegangen, in denen kommunalpolitisch engagierte Bürger ausführlich und nachvollziehbar auf erneute Rechtsverstöße aufmerksam machen. Allerdings sind Verwaltung und Kommunalpolitiker offenbar erneut nicht bereit, die vorgetragenen Bedenken in ihrem Abwägungsprozess zu berücksichtigen.

In seiner Stellungnahme an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung beklagt sich der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel darüber, dass der Verwaltung rund 50 Seiten privater Einwendungen vorliegen. „Und das sind keine Einwendungen, die man mal eben wegwägen kann, sondern das sind Einwendungen, die mit Fußnoten gespickt sind, bei denen man wirklich ins Eingemachte gehen muss.“ [6]

„Bei Wahrung des Datenschutzes kann ich Ihnen mitteilen, dass dahinter in allen drei Bebauungsplanverfahren („Königskamp“, „Königskamp II“ und „Königskamp III“) einige wenige Personen stecken[7], heißt es in der Stellungnahme weiter. Mit dieser Formulierung will der Bürgermeister ganz offensichtlich den Eindruck erwecken, als handele sich hier um eine kriminelle Vereinigung, die keinerlei Berechtigung hat, im Rahmen des Bauleitverfahrens Einwände zu erheben.

Der Bürgermeister will daher bereits in der nächsten Sitzung des Gemeinderates den Kommunalpolitikern empfehlen, den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 58 „Königskamp III“ aufzustellen. Die mit „Fußnoten gespickten Einwendungen“ sollen dabei nahezu unberücksichtigt bleiben.[8]

Bürgerbeteiligung nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Auch in kleinen ländlichen Kommunen stellt die Bürgerbeteiligung kein Entwicklungshindernis dar, wenn Bürgermeister und Verwaltung ernsthaft gewillt sind, die vor allem zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen formulierten Ziele der Raumordnung zu beachten. Maßgeblich ist nicht die Anzahl der Köpfe in der Verwaltung, um die nach dem Baugesetzbuch vorgesehene basisdemokratische Bürgerbeteiligung ordnungsgemäß durchführen zu können. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr die ernsthafte Bereitschaft, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten.

Im Rahmen der Bestimmungen der aktuell gültigen Raumordnungspläne ist auch im Ortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel eine bedarfsgerechte Entwicklung für die ortsansässige Bevölkerung möglich. Dazu bedarf es weder einer Änderung des Landesentwicklungsplans noch einer Einschränkung der bürgerlichen Partizipationsmöglichkeiten.

Voraussetzung für eine nachhaltige Dorfentwicklung ist vor allem ein Paradigmenwechsel im Umgang mit Einwänden im Rahmen der Bauleitplanung: Bürgerbeteiligung braucht Meinungsaustausch, Transparenz und selbstverständlich auch Kritik, die von den kommunalpolitischen Entscheidungsträgern als Chance und nicht als Bedrohung begriffen werden sollte.

Die Bürgerbeteiligung ist dann auch in Everswinkel nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Über die nachfolgenden Links können zwei der im Rahmen des Offenlegungsverfahrens „Königskamp III“ eingereichte Stellungnahmen eingesehen werden:
hier klicken: Stellungnahme 1
hier klicken: Stellungnahme 2


[1] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung, Ausschussprotokoll 17/635 der Sitzung vom 15.05.2019.
Anmerkung: Der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel war als Vertreter einer kleinen Kommune, die über einen im Freiraum liegenden Ortsteil verfügt, vom Ausschuss eingeladen. Die Aussagen des Bürgermeisters sind im Wortlaut auf den Seiten 8 bis 12 und auf der Seite 33 im Protokoll wiedergegeben.
[2] Siehe hierzu auch den Beitrag vom 04. Juni 2019: Bürgermeister will Flächenfraß forcieren.
[3] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschussprotokoll, ebenda, Seite 9.
[4] Ebenda, Seite 9.
[5] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.10.2013, 10 D 4/11.
[6] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschussprotokoll, ebenda, Seite 9.
[7] Ebenda, Seite 9.
[8] Ebenda, Seite 9.