Everswinkeler Bürgermeister will Flächenfraß forcieren

Mit Erstaunen wurde die Forderung des Bürgermeisters der Gemeinde Everswinkel im Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung aufgenommen, zukünftig noch stärker als bisher den Freiraum im ländlichen Bereich zu bebauen. In seinem Statement brachte der Bürgermeister zum Ausdruck, dass er kein Verständnis für die raumplanerischen Zielsetzungen hat, wonach bestimme Flächen insbesondere im Interesse der Natur von Bebauung freizuhalten sind.[1]

Sinnhaftigkeit des Freiraumschutzes nicht erkennbar?

Die Sinnhaftigkeit der dem Freiraumschutz dienenden Unterscheidung zwischen Siedlungsraum und Freiraum, hat sich dem Bürgermeister nach eigenem Bekunden bisher noch nicht erschlossen.[2] Dabei ist die besondere Bedeutung, die der Sicherung des Freiraums zur nachhaltigen Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der Raumordnung beigemessen wird sowohl im Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen als auch im Regionalplan Münsterland ausführlich und nachvollziehbar erläutert.

Konsequente Verhaltensänderung vom Oberverwaltungsgericht eingefordert

Auch in der Vergangenheit hatten der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker der Gemeinde Everswinkel nur wenig Verständnis für die in den Raumordnungsplänen verankerten Bestimmungen zum Schutz des Freiraums aufgebracht. So wurden entgegen den Zielen der Raumordnung im Ortsteil Alverskirchen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder überdimensionierte Baugebiete ausgewiesen, um junge Familien aus den Nachbarorten „anzulocken“. Mit Urteil vom 18. Oktober 2013 stellte das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Auseinandersetzung um das rechtswidrige Baugebiet „Königskamp“ im Ortsteil Alverskirchen fest, dass die Gemeinde Everswinkel in eklatanter Weise gegen die Ziele der Raumordnung verstoßen hat.[3]

Mit seinen eindeutigen und klaren Aussagen hat das OVG auf die raumordnerische Problematik der von der Gemeinde Everswinkel und zahlreichen anderen Kommunen betriebenen „Kirchturmpolitik“[4] aufmerksam gemacht und eine konsequente Verhaltensänderung eingefordert. Der Wettbewerb um Einwohner führt nach Ansicht des OVG vor dem Hintergrund einer insgesamt rückläufigen Bevölkerung zu einer erheblichen raumordnerischen Fehlsteuerung.[5]

Täter stellen sich als Opfer dar

Der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker der Gemeinde Everswinkel sind offensichtlich nach wie vor der Ansicht, dass es sich bei den Bestimmungen in Raumordnungsgesetzen bloß um eine symbolische Gesetzgebung handelt, mit der lediglich gezeigt werden soll, dass etwas für die „gute Sache“ (sprich für die Natur) getan werden könnte.

Obwohl die Richter des OVG in ihrer Urteilsbegründung zum Baugebiet „Königskamp“ den Vertretern  der Gemeinde unmissverständlich verdeutlicht haben, dass sie seit 1990 wiederholt gegen geltendes Recht verstoßen und damit Rechtsbruch begangen haben, sehen sie sich nach wie vor nicht als Täter. Vielmehr sei die Gemeinde Everswinkel Opfer missverständlicher Begriffsbestimmungen im Landesentwicklungs- und Regionalplan geworden.[6]

Bürgerbeteiligung als „Entwicklungshindernis“

Im Ausschuss für Wirtschaft, Umwelt und Landesplanung beklagte sich der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel über die nach wie vor bestehenden „Entwicklungshindernisse“[7], die insbesondere darin bestehen, dass verantwortungsbewusste Bürger im Rahmen der Bürgerbeteiligung auf Rechtsverstöße aufmerksam machen und das Einhalten gesetzlicher Bestimmungen fordern.[8]

Nach Aussage des Bürgermeisters stellt die Bürgerbeteiligung im Bebauungsplanverfahren für Gemeinden wie Everswinkel ein großes Hindernis dar, „das dazu führt, dass wir uns nicht so entwickeln können, wie wir möchten und auch könnten, wenn wir dürften“.[9]

Dabei verkennt der Everswinkeler Bürgermeister, dass ein Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft nur durch die Beteiligung der Bürger und zivilgesellschaftlicher Initiativen gelingen kann. Mit einem Weniger an Bürgerbeteiligung, wie es hier im Rahmen der Bauleitplanung eingefordert wird, würde unweigerlich ein dramatischer Demokratieverlust einhergehen, der zu einer schleichenden Selbst-Demontage der kommunalen Selbstverwaltung führen würde.

Bewusstseinsänderung statt Gesetzesänderung

Gerade am Beispiel des Ortsteils Alverskirchen wird deutlich, dass es einer Lockerung der Bestimmungen des Landesentwicklungsplans und einer Reduzierung der Bürgerbeteiligung nicht bedarf. Statt medienwirksamer Desinformationskampagnen mit denen versucht wird, den Bürgern den Leitspruch „Ökonomie vor Ökologie“ unter dem Deckmäntelchen eines sogenannten „Entfesselungspakets“[10] als Zukunftsvision zu verkaufen, sollten sich in Alverskirchen die politischen Akteure den gesellschaftlichen Veränderungen und den demografischen Realitäten nicht verweigern.

Paradigmenwechsel als Chance!

Durch die gesellschaftlichen Veränderungen infolge des demographischen Wandels ist Wachstum nicht mehr das Prinzip der Zukunft. Diese Erkenntnis macht einen Paradigmenwechsel erforderlich, hin zu einer qualitativen Entwicklung nach dem Motto „Mehr Dorf für weniger Menschen“.

Das ist nicht nur nachhaltiger für die Natur und die kommunalen Finanzen, sondern trägt auch zum Erhalt der dörflichen Strukturen bei. Durch die Stabilisierung gut funktionierender familiärer und nachbarschaftlicher Netzwerke bietet sich gerade einem kleinen Ort wie Alverskirchen die Möglichkeit, den demographischen Wandel auch als Chance zu begreifen.

Wird diese Chance genutzt, bleibt auch das Dorf Alverskirchen inmitten der Münsterländer Parklandschaft zukunftsfähig und für die nachfolgenden Generationen ebenso lebens- und liebenswert, wie für die jetzigen Bewohner.


[1] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung , Ausschussprotokoll 17/635 der Sitzung vom 15.05.2019.
Anmerkung: Der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel war als Vertreter einer kleinen Kommune, die über einen im Freiraum liegenden Ortsteil verfügt, vom Ausschuss eingeladen. Die Aussagen des Bürgermeisters sind im Wortlaut auf den Seiten 8 bis 12 und auf der Seite 33 im Protokoll wiedergegeben.
[2] Landtag Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme 17/1427, Seite 2.
Anmerkung: Für die Anhörung im Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung hatte der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel mit Datum vom 29.04.2019 eine schriftliche Stellungnahme vorab eingereicht.
[3] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.10.2013, 10 D 4/11.
[4] Anmerkung: Zum Begriff „Kirchturmpolitik“ siehe Stichwort im Glossar.
[5] Vgl. Wolk, Alfred: Wettbewerb um Einwohner – versus Regionalplanung, in: Impuls, Stadt, Land, Fläche, Hrsg. Naturschutzbund Deutschland, Juli 2015 (abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/wp-content/uploads/2016/12/NABU-Impuls_StadtLandFla-che_Juli2015.pdf).
[6] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschussprotokoll, ebenda, Seite 9.
Zitat: “Das war vor allem in dem Begriff der Ansässigkeit der Bevölkerung …“
[7] Ebenda, Seite 9.
[8] Ebenda, Seite 9.
[9] Ebenda, Seite 9.
[10] Siehe auch Beitrag vom 19. Januar 2018: Entfesselungspaket II: Landesregierung völlig mutlos.