Die Gemeinde Everswinkel hat in den vergangenen Jahrzehnten im Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen eine Reihe von Baugebieten ausgewiesen, um insbesondere einkommensstarke Einwohner aus Münster „anzulocken“.
Dabei hat sie immer wieder die raumordnerischen Bestimmungen des Regionalplans unterlaufen.[1]
Missachtung des Umweltgedankens
Obwohl die der Allgemeinheit dienenden Bestimmungen des Regionalplans, wie Reduzierung des Flächenverbrauchs, Schutz der Natur, Schutz der dörflichen Strukturen, für jeden einsichtig sein dürften, wurde von der Gemeinde Everswinkel gegen die gut gemeinten Zielsetzungen aus egoistischen Motiven verstoßen.
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen kam 2013 im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens zu dem Ergebnis, dass das von der Gemeinde Everswinkel im Ortsteil Alverskirchen an den Tag gelegte Fehlverhalten die übergeordneten Ziele des Regionalplans konterkariert.[2]
Die Kritik der Richter des Oberverwaltungsgerichts an dem de facto asozialen Verhalten der Gemeinde Everswinkel richtete sich vor allem gegen die Missachtung der dem Umweltgedanken verpflichteten Reduzierung des Flächenverbrauchs.[3]
Folgerichtig erklärte das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 18. Oktober 2013 den Bebauungsplan Nr. 52 „Königskamp“ im Ortsteil Alverskirchen für unwirksam, da mit der Ausweisung dieses überdimensionierten Baugebietes erneut in eklatanter Weise gegen die Bestimmungen des Regionalplans verstoßen wurde.
Den Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker der Gemeinde Everswinkel hat dies jedoch keineswegs dazu bewogen, das gegenüber den Dorfbewohnern und vor allem gegenüber der Natur an den Tag gelegte schädigende Verhalten zu überdenken.
Im Gegenteil.
Diskreditierung der Raumordnung
Sowohl auf kommunaler Ebene als auch landesweit wurden die maßgeblichen Bestimmungen der Landes- und Regionalplanung nach dem „Königskamp-Urteil“ immer wieder in Misskredit gebracht. Statt die Sinnhaftigkeit der raumordnerischen Regelungen zum Schutz der dörflichen Struktur und vor allem zum Schutz der Natur hervorzuheben, wurden die Schutzbestimmungen als Investitionshemmnis und Bremse für die Wirtschaft diskreditiert.
Der gemeinwohlorientierte Auftrag wurde rücksichtslos abgewertet zugunsten einer wachstumsorientierten „Kirchturmpolitik“, deren naturzerstörerischen Folgen in ihrer ganzen Tragweite erst in Zukunft sichtbar werden.
Die intensiv geführte Agitation mit dem Ziel, die schwerwiegenden Verletzungen rechtlicher und moralischer Normen für die breite Öffentlichkeit geradezu unsichtbar zu machen zeigte ihre Wirkung und verhinderte, dass sich in der Bevölkerung ein moralisches Unbehagen oder gar Empörung auslösen konnte.
Die gebetsmühlenartige Wiederholung, die Ausweisung weiterer Siedlungsflächen im naturnahen Freiraum am Ortsrand mache die Dorfbewohner zu „Gewinnern“, führte zum „Schweigen der Lämmer“.[4]
Auch der publikumswirksame Slogan „Ökonomie vor Ökologie“ trug dazu bei, dass die Gemeinde Everswinkel mit Duldung der zuständigen Aufsichtsbehörden die vom Oberverwaltungsgericht im Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen wegen ihrer Überdimensionierung beanstandete Siedlungsfläche nahezu widerstandslos erneut ausweisen konnte.
Mit Dreistigkeit gegen die Natur
Mit dem bereits in der Vergangenheit so erfolgreichen Motto „Dreist gewinnt“ machte die Gemeinde Everswinkel aus dem vom Oberverwaltungsgericht aufgehobenen Bebauungsplan Nr. 52 „Königskamp“ kurzerhand die Bebauungspläne Nr. 56 „Königskamp II“ und Nr. 58 „Königskamp III“. Im Ergebnis hat die Gemeinde mit den beiden kleineren Baugebieten exakt die ursprünglich vorgesehene Siedlungsfläche im naturnahen Freiraum in Anspruch genommen.
Auch in Zukunft will die Gemeinde Everswinkel am Ortsrand von Alverskirchen weitere Baugebiete ausweisen.Die Inanspruchnahme überdimensionierter Siedlungsflächen auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen soll nach dem Willen des Bürgermeisters und der Mehrheit der Kommunalpolitiker allerdings noch ungenierter, sprich noch dreister als bisher erfolgen.
Der Bürgermeister hat daher ohne Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Bezirksregierung Münster beantragt, den bisherigen Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen bei der anstehenden Fortschreibung des Regionalplans als Siedlungsfläche auszuweisen.[5]
Mit der Forderung nach einer regionalplanerischen Umwidmung des Ortsteils Alverskirchen von einer „Freifläche“ in eine „Siedlungsfläche“ ist die Hoffnung auf Befreiung von den „Fesseln“ des Regionalplans verbunden.
Konsequentes Handeln der Landesregierung erforderlich
Seit der Festlegung des 30-ha-Ziels vor nunmehr zwanzig Jahren setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass Bodenschutz durch Verzicht auf neue Siedlungs- und Verkehrsflächen mit der einhergehenden Bodenversiegelung auch Klima- und Landschaftsschutz ist. Darum geht kein Weg daran vorbei, noch haushälterischer mit der Ressource Fläche umzugehen.[6]
Zur Erreichung des gesamtgesellschaftlich postulierten Ziels der Flächenreduzierung ist es unerlässlich, dass die einzelnen Bundesländer die Begrenzung der Flächeninanspruchnahme als verbindliches Ziel der Landesplanung vorgeben.
Die Umlegung der bis 2030 anvisiserten 30 Hektar auf die jeweiligen Bundesländer bedeutetet für Nordrhein-Westfalen, dass zukünftig maximal 5 Hektar täglich für Verkehrs- und Siedlungsfläche in Anspruch genommen werden dürfen.
Die von der Schwarz-Gelben Landesregierung in der letzten Legislaturperiode im Rahmen eines sogenannten Entfesselungspakets aus dem Landesentwicklungsplan gestrichene Obergrenze von 5 Hektar pro Tag für die landesweite Flächeninanspruchnahme ist umgehend zurückzunehmen.[7]
Ihr besonderes Augenmerk wird die neue Nordrhein-Westfälische Landesregierung auf die überproportionalen Flächenqusweisungen in den ländlichen Regionen wie z. B. das Münsterland lenken müssen.
Eine weitere Zersiedelung der Münsterläder Parklandschaft wie sie seit langem von der Gemeinde Everswinkel insbesondere im Ortsteil Alverskirchen betrieben wird, ist unverzüglich zu unterbinden. Die Lebensqualität der jetzigen Dorfbewohner, aber auch insbesondere die Chancen der künftigen Generationen dürfen weder durch die fehlende Moralkompetenz der kommunalen Entscheidungsträger, noch durch die nach wie vor vorhandenen gravierenden Vollzugsdefizite auf der Ebene der Bezirksregierung beeinträchtigt werden.
Die von der Landesplanung vorzugebenden verbindlichen Ziele sind von allen Kommunen – also auch von der Gemeinde Everswinkel – einzuhalten.
Schutzauftrag des Artikel 20 a des Grundgesetzes
Die Forderung nach einem raschen und konsequenten Handeln zur Erreichung der Flächensparziele dürfte nach dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts neuen Auftrieb bekommen haben. Das Bundesverfassungsgericht spricht die Flächenproblematik im Kontext erforderlicher Klimaanpassungsmaßnahmen in seiner Aufsehen erregenden Entscheidung vom 21. März 2021 explizit an und konstatiert erhebliche Defizite im aktuellen Umgang mit der wertvollen Ressource Boden.[8]
Das Bundesverfassungsgericht verweist in seinem Urteil auf Artikel 20 a des Grundgesetzes. Dort heißt es:
„Der Staat schützt auch in Verantwortung
für die künftigen Generationen die natürlichen
Lebensgrundlagen . . .“[9]
Sowohl die Nordrhein-Westfälische Landesregierung als auch die kommunalen Entscheidungsträger sollten die justiziable Rechtsnorm des Artikel 20 a des Grundgesetzes endlich ernst nehmen und die politischen Prozesse zukünftig konsequent zugunsten ökologischer Belange insbesondere mit Blick auf die künftigen Generationen gestalten.
Der objektivrechtliche Schutzauftrag des Artikel 20 a GG verlangt, mit den natürlichen Lebensgrundlagen sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in einem solchen Zustand zu hinterlassen, dass auch nachfolgende Generationen sie ohne den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren können.
Die wunderschöne Münsterländer Parklandschaft und die darin liegenden Dörfer wie Alverskirchen sind es wert, alle erdenklichen Anstrengungen zur Erfüllung des Schutzauftrages des Artikel 20 a des Grundgesetzes zu unternehmen.
[1] Sieh hierzu insbesondere den Beitrag: Überdimensionierte Baugebiete. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/ausweisung-ueberdimensionierter-baugebiete/#more-318
[2] OVG NW, 10 D 4/11.NE, Urteil vom 18. Oktober 2013, Seite 21. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/wp-content/uploads/2017/01/OVG-Urteil-vom-18.10.2013.pdf
[3] Ebenda, Seite 21.
[4] Anmerkung: Die hier gewählte Formulierung erfolgte in Anlehnung an den Titel des Buches von Rainer Mausfeld „Warum schweigen die Lämmer? Wie Elitedemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören.“
[5] Siehe hierzu insbesondere den Beitrag: Bürgermeister verweigert Dialog mit Dorfbewohnern. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/buergermeister-verweigert-dialog-mit-dorfbewohnern/
[6] Meinhard, G., Krüger, T., Behnisch, M., & Erhardt, D. (Hrsg.). (2021) Flächennutzungsmonitoring XIII: Flächenpolitik – Konzept – Analysen – Tools (IÖR Schriften, 79), Berlin: Rhombos-Verlag, Vorwort Seite VII.
[7] Siehe hierzu insbesondere den Beitrag: Entfesselungspaket II, Landesregierung völlig mutlos. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/entfesselungspaket-ii-landesregierung-voellig-mutlos/
[8] Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 (veröffentlicht am 29. April 2021).
[9] Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20 a.