Mehr Einfamilienhäuser für immer weniger Familien

Wiederholt wurde in den vergangenen Jahren von Fachleuten und den Medien auf ein ungelöstes Problem aufmerksam gemacht: Während in Großstädten wie Berlin, München und Hamburg trotz enormer Anstrengungen der Bedarf nach Wohnungen nicht gedeckt werden kann, wird vor allem in den ländlichen Kreisen des Münsterlandes weit über das zur Deckung des Wohnungsbedarfs erforderliche Maß hinaus gebaut.[1] Das Überangebot in den Landkreisen des Münsterlandes betrifft vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser, die sehr häufig auf der „grünen Wiese“ am Ortsrand entstehen.

Auch im Kreis Warendorf werden nach einer Baubedarfsanalyse des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) seit langem wesentlich mehr Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut, als zur Bedarfsdeckung erforderlich sind. „Es wird an den falschen Stellen gebaut und es wird das Falsche gebaut“ ist das ernüchternde Fazit des IW-Immobilienexperten Michael Voigtländer.[2]

Paradoxe Schlussfolgerungen aus eindeutiger Faktenlage

Die Bevölkerung des Kreises Warendorf wird bis 2040 voraussichtlich um 13.000 Einwohner schrumpfen.[3] Die Altersstruktur wird sich stark verändern und die Zahl der klassischen Familienhaushalte (Vater, Mutter und zwei oder mehr Kinder) wird sich weiter verringern. [4]

Bereits heute besteht im Kreis Warendorf mehr als ein Drittel der Haushalte (35,2 %) aus nur einer Person. Ebenfalls gut ein Drittel (35,4 %) der Haushalte besteht aus zwei Personen. Stark gesunken ist dagegen der Anteil der Haushalte, in denen drei oder mehr Menschen leben. Er beträgt nur 29,4 %, mit weiter sinkender Tendenz.[5]

Dem Rückgang der Bevölkerung und der weiter zunehmenden Dominanz der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte wollen insbesondere die konservativen Bürgermeister und Kommunalpolitiker im Kreis Warendorf mit einer angebotsorientierten Baulandpolitik, die im Wesentlichen weiterhin auf der Ausweisung von Siedlungsflächen für die Bebauung mit Einfamilienhäusern beruht, begegnen. „Wer den Bevölkerungsschwund aufhalten will, der muss auch Bauland bieten, sind die Christdemokraten überzeugt.“[6]

Zusätzliches Bauland ist nach diesem paradoxen Argumentationsmuster vor allem erforderlich, um junge Familien aus den Nachbarkommunen „anzulocken“. Gleichzeitig treibt die Kommunen die Angst um, ohne die Ausweisung überdimensionierter Einfamillienhausgebiete Einwohner an die benachbarten Gemeinden zu verlieren. So behauptet die Stadt Warendorf, in der Vergangenheit seien aufgrund eines zu knappen Baulandangebotes Bauwillige nach Everswinkel, Telgte und Sassenberg abgwandert. [7] Zugleich kommt die Gemeinde Everswinkel zu der Ansicht, das zu geringe örtliche Baulandangebot habe zu Abwanderungen nach Warendorf , Sendenhorst, Telgte, Ahlen, Drensteinfurt, und Münster geführt.[8]

Der von den Kommunalpolitikern forcierte aberwitzige Wettbewerb um Einwohner zwischen den Kommunen des Kreises Warendorf trägt logischerweise in keiner Weise zur Behebung des Bevölkerungsrückgangs bei. Die Grundgesamtheit der Bevölkerung verändert sich durch die Wanderungsbeziehungen zwischen den Nachbarkommunen in keiner Weise. „Zuzug hier ist Wegzug dort.“[9]

Trotzdem wird in den Kommunen des Kreises Warendorf an der naturzerstörerischen Strategie der Ausweisung überdimensionierter Baugebiete festgehalten, nach dem Motto: „Das haben wir in der Vergangenheit auch so gemacht“. Die Süddeutsche Zeitung stellt dazu in einem Artikel nüchtern fest: „… im Münsterland sind neue Baugebiete ja immer noch eine politische Währung“.[10] Gemeint ist offenbar, dass Kommunalpolitiker trotz veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ihre Existenzberechtigung und ihre Chance auf eine Wiederwahl einzig und allein in der Ausweisung immer neuer Baugebiete sehen.

Das Festhalten von Bürgermeistern und Kommunalpolitkern an überkommenen Verhaltensmustern kann exemplarisch besonders deutlich an den vermeintlichen „Lösungsstrategien“ der Stadt Warendorf, der Gemeinde Ostbevern und dem Ortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel aufgezeigt werden.

Warendorf: Baugebiet mit „Meilenstein-Charakter“

So stellte z. B. der Rat der Stadt Warendorf fest, dass es „absurd erscheint, bei sinkender Bevölkerung noch neue Baugebiete auszuweisen“ [11], zumal es in Warendorf rund 250 Häuser gibt, in denen nur noch eine Person lebt, die 80 Jahre oder älter ist. „Das sind Reserven, die irgendwann auch wieder auf dem Markt angeboten werden.“[12] Trotzdem geht die CDU in die „Bauland-Offensive“[13] und schafft die „Grundlagen für 714 neue Wohneinheiten“ [14] überwiegend für flächenverzehrende Einfamilienhäuser. Allein in dem etwa 19,5 ha großen Baugebiet „In de Brinke“ stehen von den insgesamt 170 Baugrundstücken[15] 150 für die Bebauung mit Einfamilien- und Doppelhäusern zur Verfügung.[16] Ein Baugebiet mit „Meilenstein-Charakter“[17], mit dem die „Trendwende beim Wohnen eingeleitet“ sei.[18]

Ostbevern: Baugebiet mit historischer Größe

Nach dem Warendorfer Motto „Hier dürfen wir nicht mehr kleckern, hier müssen wir klotzen“[19] versucht die Gemeinde Ostbevern ebenfalls mit der Ausweisung flächenintensiver Einfamilienhausgrundstücke Neubürger aus den Nachbargemeinden zu gewinnen.

„Derzeit entstehen zahlreiche Einfamilienhäuser im Baugebiet Grevener Damm Süd. Die insgesamt 104 Grundstücke (davon 13 Grundstücke für Merhparteinhäuser) werden bereits in diesem Jahr weitgehend bebaut,“ verkündete stolz Ostbeverns Bürgermeister im Jahr 2017.[20]

In einer weiteren Pressemitteilung heißt es 2019 : „Rund 260 Grundstücke auf einer Baulandfläche von insgesamt 140.000 Quadratmetern für Einzel- und Doppelhausbebauung und 22 Mehrparteiengrundstücke: Die Gemeinde Ostbevern hat Historisches vor. Nie zuvor hatte der 11.000 Einwohner große Ort … eine so große Baufläche ausgewiesen.“[21]

Die „Top-Meldung“ folgte dann Anfang 2020: „Durch 600 neue Wohneinheiten wachse Ostbevern in den kommenden drei Jahren um 2.000 Einwohner.“ [22]

Alverskirchen: Hoffen auf Wende durch „Entfesselungsprogramm“

Im Ortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel hoffen der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker auf die demografische Wende durch das von der nordrhein-westfälischen Landesregierung propagierte „Enfesselungspaket“[23].

Nach den aktuellen Bestimmungen des Landesentwicklungsplans NRW und des Regionalplans Münsterland dürfen zum Schutz des Freiraums und zum Erhalt der dörflichen Strukturen in sogenannten „Eigenentwicklungsortsteilen“ [24] mit unter 2.000 Einwohnern neue Siedlungsflächen nur für den Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung ausgewiesen werden. Diese als „Ziel der Raumordnung“ definierte Festlegung hat die Gemeinde Everswinkel im Ortsteil Alverskirchen durch die rechtswidrige Ausweisung überdimensionierter Baugebiete jahrzehntelang unterlaufen.[25]

Auch in Alverskirchen hat entgegen der mantraartig wiederholten Behauptung, es seien zu wenige Wohnungen gebaut worden, in den letzten Jahren eine rege Bautätigkeit stattgefunden. Seit 1990 sind rund 300 neue Wohneinheiten fast ausschließlich durch die Errichtung von Einfamilienhäusern geschaffen worden. Im selben Zeitraum hat sich die Einwohnerzahl um etwa 265 Einwohner erhöht.

Der Vergleich dieser beiden Zahlen offenbart, dass in Alverskirchen kein Wohnungsmangel herrscht, sondern im Gegenteil ein „Bauüberfluss“ [26] vorhanden ist.

Nach Angaben der Gemeinde Everswinkel werden in den nächsten Jahren über 50 Einfamilienhäuser durch Generationenwechsel in Alverskirchen frei. Sie erhöhen den vorhandenen Wohnungsüberhang ebenso wie die Nutzung der noch reichlich vorhandenen Innenentwicklungspotenziale und die Bebauung der bisher in den Wohngebieten „Große Kamp“, „Am Vinckenbusch“ und „Königskamp“ noch ungenutzten Baugrundstücke.

Trotze des „Bauüberhangs“ ist in Alverskirchen aufgrund der geringen Geburtenrate und der stetig steigenden Sterberate seit einiger Zeit ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen. Die politischen Entscheidungsträger wollen sich deshalb stärker als bisher an dem aberwitzigen interkommunalen Wettbewerb um Einwohner beteiligen. Sie hoffen daher im Rahmen des „Entfesselungspakets“ auf eine rasche Änderung des Regionalplans, der dann eine rigorosere Bebauung des bisherigen Freiraums ermöglichen soll. Fläche ist ja noch genug vorhanden.

Umdenken rasch erforderlich

Obwohl auch im Kreis Warendorf die demografische Entwicklung längst zu einer gravierenden Veränderung der Haushaltsstrukturen geführt hat und bereits heute mehr als 70 % der Bevölkerung in Ein- und Zwei-Personenhaushalten lebt, hat in Sachen Siedlungspolitik noch kein Umdenken stattgefunden. Statt vor allem für die immer älter werdenden Einwohner barrierefreie Wohnungen in Zentrumsnähe zu schaffen, wird weiterhin die Ausweisung überdimensionierter Einfamilienhäuser auf der „grünen Wiese“ propagiert.

„Warum wir Dinge kaufen, die wir nicht brauchen“ lautete der Titel eines Vortrags im Rahmen des Neujahrsempfangs 2013 der Gemeinde Ostbevern. „Stellenweise kamen die Zuhörer aus dem Lachen nicht mehr heraus“.[27] Vielleicht könnte der Landrat des Kreises Warendorf zum nächsten Neujahrsempfang den Vertreter eines Naturschutzverbandes einladen, der zu dem Thema referiert „Warum wir Einfamilienhäuser bauen, die in Zukunft nicht mehr benötigt werden.“[28] Den Zuhörern würde ganz sicherlich das Lachen im Halse stecken bleiben.

 

[1] Vgl. Westfälische Nachrichten vom 20. Juni 2017: „In den Münsterland-Kreisen wird zu viel gebaut“ und Westfälische Nachrichten vom 25. August 2015: „Im Kreis Warendorf wird zu viel gebaut“. Vgl. auch Wolk, Alfred: IW-Studie, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/lexikon/iw-studie/
[2] Ebenda.
[3] Kreis Warendorf (Hrsg.): „Kommunale Pflegeplanung 2018“, Juni 2018, Seite 11.
[4] Die Glocke vom 28. September 2020: „Kleinere Haushalte sind weiter auf dem Vormarsch“
[5] Ebenda.
[6] Westfälische Nachrichten vom 13. März 2013: „Der Traum vom Eigenheim“.
[7] Westfälische Nachrichten vom 11. November 2014: „Die schrumpfende Stadt“.
[8] Gemeinde Everswinkel: Gutachten „Wohnungsbedarf in Alverskirchen, Fortschreibung 2018“, Seite 18.
[9] Fuhrhop, Daniel: „Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, Neuauflage 2020, Seite 40.
[10] Süddeutsche Zeitung vom 23. Juni 2017: „Frischzellenkur“.
[11] Westfälische Nachrichten vom 06. April 2013: „Warendorf – wohin geht der Weg? Wie geht es weiter?“.
[12] Westfälische Nachrichten vom 17. Oktober 2014: „Es gibt noch einige Reserven“
[13] Westfälische Nachrichten vom 20. Februar 2015: „Bauoffensive: Nicht kleckern, klotzen“.
[14] Westfälische Nachrichten vom 02. Februar 2019: „Grundlagen für 714 neue Wohneinheiten“
[15] Westfälische Nachrichten vom 27. Februar 2020: „Ein neuer Stadtteil entsteht“.
[16] Westfälische Nachrichten vom 19. Juni 2019: „Häuser werden erst ab Ende 2020 gebaut“.
[17] Westfälische Nachrichten vom 27. Februar 2020: „Ein neuer Stadtteil entsteht“.
[18] Westfälische Nachrichten vom 26. September 2019: „Trendwende beim Wohnen eingeleitet“.
[19] Westfälische Nachrichten vom 20. Februar 2015: „Bauoffensive: Nicht kleckern, klotzen“.
[20] Westfälische Nachrichten vom 05. Januar 2017: „Gefeiert im eigenen Heim“.
[21] Westfälische Nachrichten vom 01. Februar 2019: „Historisches Wachstum in Ostbevern“.
[22] Westfälische Nachrichten vom 10. Februar 2020: „Wolfgang Annen kandidiert erneut.“
[23] Vgl. zum „Entfesselungspaket“ Wolk, Alfred: „Landesregierung völlig mutlos“, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/entfesselungspaket-ii-landesregierung-voellig-mutlos/
[24] Vgl. zur „Eigenentwicklung“ Wolk, Alfred: „Wettbewerb um Einwohner – versus Regionalplanung, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/wp-content/uploads/2016/12/NABU-Impuls_StadtLandFla-che_Juli2015.pdf
[25] Vgl. ebenda.
[26] Vgl. zum Begriff „Bauüberfluss“ Fuhrhop, Daniel, a. a. O., Seite 58.
[27] Westfälische Nachrichten vom 06. Januar 2013: „Neujahrsempfang der Gemeinde in der Aula der Verbundschule“.
[28] Für einen solchen Vortrag prädestiniert wäre Dirk Löhr, Autor des Buches „Die Plünderung der Erde: Anatomie einer Ökonomie der Ausbeutung“.