Der Umgang mit einem fehlerhaften Kommunalwahlergebnis in Everswinkel

Immer wieder passieren bei Wahlen Fehler. Das ist menschlich und bei der Vielzahl der abgegebenen Stimmen auch nahezu unvermeidlich.

Es ist daher durchaus verständlich, dass auch die am 13. September 2020 in Everswinkel durchgeführte Gemeinderatswahl mit Fehlern behaftet war. Es wurden Stimmen falsch ausgezählt und formale Regeln außer Acht gelassen. Mögliche Ursachen können mangelnde Aufmerksamkeit der Verantwortlichen oder fehlendes Wissen für die Aufgabe sein.

Für die Demokratie sind kleinere Wahlpannen in der Regel kein Problem, da sie nur in Ausnahmefällen mandatsrelevante Bedeutung haben. Anders einzuordnen sind allerdings Fehler, die Auswirkungen auf die Sitzverteilung des Gemeinderates haben können.

Genau das ist der Fall in Everswinkel. Hier hängt es von einer einzigen Wählerstimme ab, ob die CDU im Everswinkeler Gemeinderat die absolute Mehrheit erhält. Es ist also durchaus denkbar, dass die absolute Mehrheit keinesfalls dem Wählerwillen entspricht, sondern lediglich durch einen Fehler am Wahlabend zustande gekommen sein könnte.[1]

Geschichte wiederholt sich

Bereits bei der Kommunalwahl im Jahr 2004 hatte nur eine einzige Wählerstimme mandatsrelevante Bedeutung für die Zusammensetzung des Gemeinderates. Auch damals weigerten sich zunächst die Gemeindeverwaltung und die Mehrheit der Kommunalpolitiker, die Korrektheit des Wahlergebnisses zu überprüfen.

Erst aufgrund des massiven Drucks aus der Bürgerschaft wurde seinerzeit schließlich eine Überprüfung des Wahlergebnisses beschlossen. Die daraufhin angeordnete Nachzählung führte zu einer Veränderung der Sitzverteilung im Gemeinderat und damit zur Umsetzung des tatsächlichen Wählerwillens.

Auch nach der aktuell durchgeführten Kommunalwahl am 13. September 2020 legte die Gemeindeverwaltung und die Mehrheit der Kommunalpolitiker trotz mehrerer substantiierter Einsprüche, die gegen die Feststellung des Wahlergebnisses eingereicht wurden, ihre altbekannte Verweigerungshaltung an den Tag: In der Sitzung des Wahlprüfungsausschusses am 18. November 2020 wurde der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Nachzählung von der CDU-Fraktion, die in diesem Ausschuss aufgrund des zu überprüfenden Wahlergebnisses die absolute Mehrheit hat, abgelehnt.[2]

Erst in einer weiteren Sitzung des Wahlprüfungsausschusses wurde schließlich am 03. Februar 2021 in Anbetracht der nicht mehr weiter zu leugnenden „Wahlpannen“ eine nichtöffentliche Nachzählung der bei der Gemeinderatswahl abgegebenen gültigen Stimmen beschlossen.[3]

Kurioses Ergebnis der Nachzählung

Nahezu selbstredend wurden bei der daraufhin durchgeführten Nachzählung Zuordnungsfehler festgestellt, wie sie wohl bei nahezu jeder Wahl vorkommen, d. h. bei der Auszählung am Wahlabend wurden Stimmzettel auf einen falschen Stapel gelegt. Solche Fehler lassen sich im Rahmen einer Nachzählung korrigieren, indem sie im Nachhinein korrekt zugeordnet werden. Dass trotz der vorgeschriebenen Mehrfachzählung durch verschiedene Mitglieder des Wahlvorstandes Fehlerquoten im zweistelligen Bereich aufgetreten sind, ist allerdings schon recht ungewöhnlich.

Noch ungewöhnlicher ist allerdings die Feststellung der Gemeindeverwaltung, dass in drei Wahlbezirken insgesamt fünf Stimmen zu viel vorhanden gewesen seien. Die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen wurde daraufhin nachträglich entsprechend korrigiert. Eine Erklärung, wie eine solche Differenz in Anbetracht der laut Wahlordnung mehrfach durchzuführenden Plausibilitätsprüfungen entstehen kann, wurde bisher nicht geliefert.

Kurioserweise kommt die Gemeindeverwaltung letztendlich zu dem Ergebnis, dass nach der Korrektur der „Stapelfehler“ und der Verringerung der Gesamtzahl der gültigen Wählerstimmen (-5) erneut exakt eine Stimme den Ausschlag gibt für das Erreichen der absoluten Mehrheit der CDU-Fraktion.

Mehr Fragen als Antworten

Im Zuge der in den eingereichten Einsprüchen und den in der Presse veröffentlichten Leserbriefen aufgetretenen Zweifeln an der Korrektheit des Wahlergebnisses, gibt es inzwischen mehr Fragen, als die Gemeindeverwaltung bisher Antworten zu geben bereit ist.

So hat beispielsweise der Wahlleiter bis heute keine Antwort auf die Frage eines Einspruchsführers gegeben, wie denn eine bei der Briefwahl aufgetretene Differenz zwischen der Anzahl der Briefwähler bei der Gemeinderatswahl und der Kreistagswahl zu erklären ist.

Auch mit dem Hinweis der Verwaltung, aufgrund eines Fristversäumnisse einen Einspruch unberücksichtigt zu lassen[4] und damit den Deckmantel des Schweigens über möglicherweise gravierende Mängel zu legen, können sich weder die Kommunalpolitiker, noch die Everswinkeler Wähler zufrieden geben. Vielmehr ist eine von der Öffentlichkeit nachvollziehbare Aufarbeitung aller bekannten Unzulänglichkeiten erforderlich, um endlich Gewissheit zu schaffen, über das vor mittlerweile mehr als sieben Monaten zustande gekommene Ergebnis der Gemeinderatswahl.

Eine transparente Aufarbeitung ist darüber hinaus erforderlich, um Klarheit über mögliche fehlerhafte Verhaltensweisen bei der Wahl zu schaffen, damit die Qualität von Prozessen und Vorgängen bei zukünftigen Wahlen verbessert werden kann.

Fehlerkultur verbessern – im Interesse der Demokratie

Fehler sind fester Bestandteil des täglichen Lebens. Auch die Everswinkeler Gemeindeverwaltung und die örtlichen Kommunalpolitiker dürfen Fehler machen. Entscheidend ist, sich zu Fehlern zu bekennen und die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Um das zurzeit bei vielen Bürgern vorhandene mulmige Gefühl im bisherigen merkwürdigen Umgang mit dem Ergebnis der Gemeinderatswahl zu beseitigen, ist eine Verbesserung der Fehlerkultur in Everswinkel erforderlich. Nur durch eine positive Fehlerkultur ist eine ansonsten weiter voranschreitende Demokratieverdrossenheit zu vermeiden.

Voraussetzung für eine verbesserte Fehlerkultur ist vor allem, Fehler einzugestehen, statt Fehler zu vertuschen. Dies sollte auch für die Everswinkeler Verwaltung ein zukünftiges Leitmotiv sein.

Wenig hilfreich ist es dabei, von Fehlern abzulenken, indem Bürgern, die auf Missstände aufmerksam machen, die Fähigkeit abgesprochen wird, ein aufgetretenes Problem sachgerecht beurteilen zu können.

So kommt der Wahlleiter der Gemeinde Everswinkel in einem Interview zu der Feststellung, die Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes seien „für juristische Laien sehr schwer nachvollziehbar“ und per „Google-Suche“ ein Zugang zu der komplexen Materie wohl kaum möglich.[5] Mit anderen Worten: Die Everswinkeler Wähler sind gar nicht in der Lage, den rechtskonformen Umgang der Gemeindeverwaltung mit dem Kommunalwahlgesetz beurteilen zu können.

Unabdingbarer Aufklärungswille zur Wahrung des Rechtsfriedens erforderlich

Wer sich die Mühe macht und den § 40 des Kommunalwahlgesetzes „googelt“, stellt rasch fest, dass die Intention der Bestimmung auch für den „juristischen Laien“ zu verstehen ist. Dort steht schlicht und ergreifend, dass beim Vorliegen mandatsrelevanter Fehler, die durch eine Nachzählung nicht beseitigt werden können, eine Wiederholungswahl in den Wahlbezirken durchzuführen ist, in denen mögliche Fehler festgestellt wurden.[6]

Die rechtskonforme Anwendung dieser zur Sicherstellung des Rechtsfriedens unmissverständlich formulierten Handlungsanweisung setzt allerdings den unabdingbaren Aufklärungswillen der politisch Verantwortlichen voraus.

Im Rahmen der Wahlprüfung hat der Rat nach § 40 Abs. 1 KWahlG „über die Einsprüche sowie über die Gültigkeit der Wahl von Amts wegen” zu entscheiden.[7] Wie das Wort „sowie” zeigt, ist der Prüfungsumfang keineswegs auf die durch Einspruch gerügten Fehler beschränkt. Der Rat hat unabhängig von Einsprüchen die Gültigkeit der Wahl zu prüfen und darüber zu entscheiden.

Im Interesse der Wahrung der politischen Kultur ist zu hoffen, dass der Everswinkeler Gemeinderat sämtlichen aufgetretenen Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl nunmehr zeitnah nachgeht.

Dabei sollte die Angst, dass bei einer möglichen Wiederholungswahl die CDU möglicherweise die absolute Mehrheit verliert, hinter den Anspruch auf Einhaltung demokratischer Spielregeln und die rechtskonforme Anwendung des Kommunalwahlgesetzes zurücktreten.

 

weiterführende Links:
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Wahlprüfungsausschuss
Beitrag: Einspruch gegen das Kommunalwahlergebnis in Everswinkel
Beitrag: Nachzählung ist zwingend geboten
Beitrag: Dreist gewinnt: Kommunalwahlprüfung in Everswinkel

 

[1] Siehe hierzu auch den Beitrag „Dreist gewinnt: Kommunalwahlprüfung in Everswinkel“ (Link siehe oben).
[2] Sitzung des Wahlprüfungsausschusses der Gemeinde Everswinkel am 18. November 2020, abrufbar unter: https://www.everswinkel.de/sessionnet/WWW/buergerinfo/si0057.php?__ksinr=605
[3] Sitzung des Wahlprüfungsausschusses der Gemeinde Everswinkel am 03. Februar 2021, abrufbar unter: https://www.everswinkel.de/sessionnet/WWW/buergerinfo/si0057.php?__ksinr=652
[4] Ebenda.
[5] Westfälische Nachrichten vom 30. April 2021: „Mal eben googeln reicht nicht“. Interview mit Bürgermeister und Wahlleiter zum Kommunalwahlstreit.
[6] § 40 Kommunalwahlgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?sg=0&menu=0&bes_id=4752&aufgehoben=N&anw_nr=2
[7] § 40 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen.