Landesentwicklungsplan NRW in vielen Teilen unwirksam

Mit Urteil vom 21. März 2024 hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen aufgrund eines Normenkontrollantrages des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) insgesamt zwölf Punkte der Änderung des Landesentwicklungsplans für unwirksam erklärt.[1] Das Urteil ist rechtskräftig und damit allgemeinverbindlich. Da der Landesentwicklungsplan Auswirkungen auf die nachgeordneten Planungsebenen hat, sind die vom OVG für unwirksam erklärten Regelungen auch bei der aktuellen Fortschreibung des Regionalplans Münsterland und bei den Bauleitplanungen der Kommunen zu beachten.

Entfesselungspaket entzaubert

Der unter der rot-grünen Landesregierung erarbeitete und am 08. Februar 2017 in Kraft getretene Landesentwicklungsplan wurde im Rahmen eines sog. „ Entfesselungspaketes“ von der schwarz-gelben Regierungskoalition 2019 in 20 Punkten verändert bzw. ergänzt.[2] Die dem Leitspruch des Ministerpräsidenten „Ökonomie vor Ökologie“ verpflichteten Änderungen, dienten insbesondere dazu, die bisherigen Vorkehrungen zum Schutz des Freiraums, des Bodens und der Umwelt zurückzunehmen, wie es von den Regierungsparteien als politische Zielsetzung im Koalitionsvertrag vereinbart war.[3] Das Änderungsverfahren wurde von einer breit angelegten Medienkampagne begleitet, um die ausschließlich der kurzfristigen Gewinnmaximierung dienenden, aber langfristig zum Schaden der Allgemeinheit führenden Maßnahmen positiv darzustellen.[4]

Da sich die nordrhein-westfälische Landesregierung mit den im Landesentwicklungsplan vorgenommenen Änderungen de facto von einer flächensparenden Siedlungspolitik und damit von der übergeordneten Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes verabschiedet hatte, reichte der BUND im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens hiergegen vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen eine Klage ein.[5]

Die Klage bezog sich auf insgesamt 16 im Landesentwicklungsplan (LEP) zu Lasten von Belangen eines nachhaltigen Natur- und Freiraumschutzes geänderten Ziele und Grundsätze. Zwölf dieser Ziele und Grundsätze wurden vom OVG im Rahmen des Klageverfahrens für unwirksam erklärt.[6]

Der BUND hatte insbesondere kritisiert, dass die Änderung des LEP allein der Umsetzung politischer Vorgaben diente, eine Ermittlung und Abwägung der Umweltfolgen aber nahezu vollständig unterlassen wurde. Das Urteil gilt als wegweisend; es handelt sich um die erste Umweltverbandsklage gegen einen Landesentwicklungsplan.[7]

Mit dem OVG-Urteil ist das sogenannte Entfesselungspaket quasi entzaubert worden, da an die Stelle der 12 vom OVG für unwirksam erklärten Festlegungen wieder der ursprüngliche Landesentwicklungsplan aus dem Jahr 2017 tritt. In den Medien hat das Urteil allerdings bisher kaum Beachtung gefunden.

Auswirkungen des OVG-Urteils auf den Regionalplan Münsterland

Da der Landesentwicklungsplan als Grundlage für die Entwicklung von Regionalplänen dient[8], hatte die Bezirksregierung Münster infolge der 2019 vorgenommenen Änderungen der schwarz-gelben Landesregierung ein Verfahren zur Änderung des Regionalplans eingeleitet, um auch im Münsterland die räumlichen Entwicklungspotenziale zu entfesseln.[9]

Ausgehend von den veränderten Regelungen des LEP sollen durch die Anpassung des Regionalplans der kommunalen Bauleitplanung neue Spielräume verschafft und eine höhere Flexibilität bei der Neuausweisung von Baugebieten erreicht werden.[10]

So soll in Anlehnung an das in den LEP neu eingefügte Ziel „Entwicklung der Ortsteile im Freiraum“ (Ziel 2-4) auch im Regionalplan sogenannten „Eigenentwicklungsortsteilen“ die Möglichkeit gegeben werden, sich zu einem Allgemeiner Siedlungsbereich zu entwickeln.[11]

Die mit dem Ziel 2-4 im geänderten LEP geschaffene Möglichkeit überdimensionierte Baugebiete in bisherigen Eigenentwicklungsorten auszuweisen ist nicht nur in höchstem Maße kontraproduktiv für eine nachhaltige Dorfentwicklung, sondern lässt zugleich die gesamtgesellschaftlichen Flächenreduktionsziele in weite Ferne rücken.[12]

Das OVG hat mit seinem Urteil das Ziel 2-4 „Entwicklung der Ortsteile im Freiraum“ für unwirksam erklärt. Nach Ansicht des Gerichts „fehle es an einer begründeten Auseinandersetzung, welche höher zu gewichtenden Umstände es verlangten, eine Siedlungsentwicklung im bisherigen Freiraum zu ermöglichen und die Belange des Freiraumschutzes zurückzustellen.[13]

Die Unwirksamkeit des Ziels 2-4 hat zur Folge, dass die bis zur Änderung des LEP gültige Regelung wieder in Kraft trifft. Danach dürfen in den dem regionalplanerischen Freiraum zugeordneten Eigenentwicklungsorten neue Siedlungsflächen nur für den Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung ausgewiesen werden.[14]

Auch in dem im Änderungsverfahren befindlichen Regionalplan Münsterland ist dementsprechend bis auf weiteres die ursprüngliche Regelung anzuwenden.

Konsequenzen für die kommunale Bauleitplanung

Die Städte und Gemeinden genießen zwar als Ausfluss ihrer kommunalen Selbstverwaltung innerhalb ihres Gebietes Planungshoheit, müssen sich aber an die Vorgaben der übergeordneten Landes- und Regionalplanung halten.[15] Die Gemeinden müssen ihre kommunalen Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung anpassen. Anpassung bedeutet, dass die Ziele der Raumordnung für die Bauleitplanung unmittelbar bindende Vorgaben sind, die auch durch den Gemeinderat im Rahmen der Abwägung nicht überwunden werden können.[16]

Für die Gemeinde Everswinkel bedeutet die Unwirksamkeit des Ziels 2-4 „Entwicklung der Ortsteile im Freiraum“, dass die beantragte Entwicklung des Ortsteils Alverkirchen von einem im Freiraum liegenden Eigenentwicklungsortsteil in einen Allgemeinen Siedlungsbereich von der Bezirksregierung Münster abgelehnt werden muss.

Der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker hatten gehofft, den als Freiraum deklarierten Ortsteil Alverskirchen zukünftig als Siedlungsbereich umwidmen zu können, um durch eine angebotsorientierte Ausweisung von Baugebieten am Dorfrand vor allem einkommensstarke Bauinteressen aus Münster anlocken zu können.

Ein neues Baugebiet kann im Ortsteil Alverskirchen in Folge der Unwirksamkeit des Ziels 2-4 wie bisher nur für den Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung ausgewiesen werden, sofern der Bedarf durch eine entsprechendes Wohnungsbedarfsgutachten nachgewiesen werden kann.[17]

Ausblick

Die Landesplanungsbehörde wird in Folge der 12 vom OVG-Urteil für unwirksam erklärten Festlegungen einen Änderungsentwurf erarbeiten, der dann die Grundlage für den Regionalplan Münsterland sein wird.

Es ist zu hoffen, dass bei dem Verfahren zu erneuten Änderung des Landesentwicklungsplans die Interessen des Freiraum- und Naturschutzes stärker als bisher berücksichtigt werden.

Ein dem Leitbild des Flächensparens verpflichteter Landes- und Regionalplan ist vor dem Hintergrund der immer sichtbarer werdenden Zeichen der Naturzerstörung und der stetig spürbarer werdenden Folgen des Klimawandels zwingende Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen.

Weiterführende Links:

  1. OVG-Urteil vom 21. März 2024 (siehe Fußnoten 1,3,6 und 13)
  2. Wolk, Alfred: Stellungnahme im Rahmen des Beteiligungsverfahrens zu Änderungen des LEP NRW (siehe Fußnote 4).
  3. Pressemitteilung des BUND NRW vom 28.05.2024: Urteil zum Landesentwicklungsplan rechtskräftig (siehe Fußnote 7).
  4. Wolk, Alfred: Regionalplan Münsterland (siehe Fußnote 11).
  5. Wolk, Alfred: Eigenentwicklung (Fußnote 14).
  6. OVG-Urteil vom 10. Oktober 2013 (siehe Fußnoten 16 und 17).

[1] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. März 2024, 11 D 133/20 . (siehe obenstehenden Link 1)
[2] Die Änderungen wurden am 06. August 2019 rechtsverbindlich.
[3] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. März 2024, 11 D 133/20, Rand-Nr. 188.
[4] Zum Änderungsverfahren des Landesentwicklungsplans sieh insbesondere Wolk, Alfred: Stellungnahme im Rahmen des Beteiligungsverfahrens zu Änderungen des LEP NRW (siehe obenstehenden Link 2).
[5] Der BUND ist als anerkannte Vereinigung gemäß § 3 UmwRG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) klageberechtigt.
[6]. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. März 2024, 11 D 133/20, Rand-Nr. 412.
[7] Pressemitteilung des BUND NRW vom 28.05.2024: Urteil zum Landesentwicklungsplan rechtskräftig (siehe obenstehenden Link 3).
[8] Der LEP dient gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 2 ROG (Raumordnungsgesetz) als Grundlage für die Entwicklung von Regionalplänen. Regionalplanungsbehörde ist gemäß § 4 LPlG NRW (Landesplanungsgesetz) die Bezirksregierung.
[9] Bezirksregierung Münster: Regionalplan Münsterland, Entwurf Dezember 2022, Vorwort Seite XII.
[10] Ebenda.
[11] Zur Änderung des Regionalplans siehe insbesondere Wolk, Alfred: Regionalplan Münsterland (siehe obenstehenden Link 4).
[12] Anmerkung: Bis zum Jahr 2030 will die Bundesregierung den Flächenverbrauch auf unter 30 Hektar pro Tag verringern. Inzwischen hat die die Bundesregierung die Zielsetzung der Europäischen Kommission aufgegriffen und strebt bis 2050 sogar das Flächenverbrauchsziel Netto-Null (Flächenkreislaufwirtschaft) an.
[13] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. März 2024, 11 D 133/20, Rand-Nr. 190.
[14] Zum Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung in Eigenentwicklungsortsteilen siehe insbesondere Wolk, Alfred: Eigenentwicklung (siehe obenstehenden Link 5).
[15] Kommunale Selbstverwaltung gemäß Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz.
[16] Zu den Zielen der Raumordnung siehe insbesondere die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zum Normenkontrollverfahren im Fall des Baugebietes Königkamp im Ortsteil Alverskirchen. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Oktober 2013, 10 D 4/11, Seite 12 (siehe obenstehenden Link 6).
[17] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Oktober 2013, 10 D 4/11, Seite 21.