Eine sich jahrzehntelang stetig verringernde Geburtenrate hat zwangsläufig einen Rückgang der Schülerzahlen und letztendlich auch die Schließung einiger Schulen zur Folge.
Deutschlandweit ging die Zahl der Geburten bezogen auf 1.000 Einwohner (= rohe Geburtenrate)[1] von 17,7 im Jahr 1965[2] auf 8,5 im Jahr 2018[3] zurück.
Allein in Nordrhein-Westfalen verringerte sich die Zahl der Grundschüler infolge der niedrigen Geburtenraten vom Schuljahr 2001/2002 bis zum Schuljahr 2018/2019 um 163.266, was mit einer Schließung von 689 Grundschulen in diesem Zeitraum einherging.[4]
Änderung des Schulgesetzes zur Reduzierung des Problemdrucks
Um den demografisch erzeugten Problemdruck auf das nordrhein-westfälische Grundschulnetz zu verringern und Schulschließungen vor allem im ländlichen Bereich weitgehend zu vermeiden, wurden einige Änderungen im Schulgesetz vorgenommen. So wurde die für die Selbständigkeit einer Grundschule erforderliche Mindestzahl auf 92 Schüler verringert.[5]
Das Schulgesetz sieht vor, dass zur Erreichung angemessener Schul- und Klassengrößen Grundschulstandorte mit weniger als 92 und mindestens 46 Schülern nur als Teilstandort eines Grundschulverbunds geführt werden können, wenn der Schulträger deren Fortführung für notwendig hält.[6]
Für den Erhalt der Grundschule als Teilstandort innerhalb eines Grundschulverbunds ist ein entsprechender Beschluss des Gemeinderates erforderlich. Mit dem Beschluss des Gemeinderates zur Bildung eines Grundschulverbunds wird die Selbständigkeit der kleineren Schule aufgegeben. Die größere Schule am Hauptstandort ist rechtlicher Vertreter des Verbundes. Die Leitung des Grundschulverbundes obliegt dem Schulleiter der größeren Schule am Hauptstandort. Der Schulleiter der Teilstandortschule verliert seine Funktion.[7]
Rettung der Schule im Dorf durch Teilstandortbildung
In vielen kleinen Ortsteilen vor allem im ländlichen Bereich ist die vorhandene Bevölkerung nicht mehr in der Lage, die für den Erhalt der Selbständigkeit der Grundschule erforderliche Mindestzahl von 92 Schülern zu generieren. Die Mindestzahl von 92 Schülern in vier Grundschulklassen bedeutet, dass im Durchschnitt eine Klassenstärke von 23 Schülern erreicht werden müsste. Um diese Zahl dauerhaft zu erreichen, müssten jedes Jahr 23 Kinder geboren werden. Bei einer aktuellen Geburtenrate von 8,5 je 1.000 Einwohner setzt dies eine Einwohnerzahl von 2.705 Einwohnern voraus.[8]
Für alle Ortsteile, die unterhalb dieser Einwohnergrenze liegen, besteht die Chance, die Schule im Dorf zu behalten, wenn der Gemeinderat der Möglichkeit der Teilstandortbildung in einem Grundschulverbund zustimmt.
Auch in Alverskirchen bleibt die Schule im Dorf
Aufgrund der ungünstigen Altersstruktur[9] liegt die Geburtenrate im Ortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel mit 7,5[10] unterhalb der bundesweiten Größe von 8,5 je 1.000 Einwohner.
Bei einer Bevölkerungsgröße von rund 1.900 Einwohnern sind im Ortsteil Alverskirchen dementsprechend durchschnittlich 14 Geburten zu verzeichnen.[11] Nach dem Ergebnis einer aktuellen Bevölkerungsprognose, die von der Verwaltung zum wiederholten Mal speziell für den Ortsteil Alverskirchen angefertigt wurde, wird die Zahl der Geburten voraussichtlich bis zum Ende des Prognosezeitraums im Jahr 2030 auf diesem niedrigen Niveau verharren.[12]
Um die zur dauerhaften Selbständigkeit der Grundschule erforderlichen 23 Geburten jährlich zu erreichen, würde Alverskirchen aufgrund der relativ geringen ortsteilspezifischen Geburtenrate 3.067 Einwohner benötigen.[13] Die aktuell vorhandene Bevölkerung müsste also relativ kurzfristig um 1.167 Einwohner anwachsen, um die weitere Selbständigkeit der Grundschule zu gewährleisten.
Trotz der jahrzehntelangen rechtswidrigen Ausweisung überdimensionierter Baugebiete[14], ist es in der Vergangenheit im Ortsteil Alverskirchen nicht gelungen, den sich auch im Münsterland seit langem abzeichnenden Trend des zunehmenden Bevölkerungsrückgangs zu begegnen. Das Abrutschen der Schülerzahl unter die laut Schulgesetz NRW festgesetzte Mindestzahl von 92 Schülern ist insofern kein punktuelles Ereignis, sondern die bereits seit Jahren erkennbare zwangsläufige Folge demografischer Veränderungen.
Als Ergebnis der Auseinandersetzung von Verwaltung und Kommunalpolitikern um die Entwicklungsmöglichkeiten der Grundschule im Ortsteil Alverskirchen fasste der Rat der Gemeinde Everswinkel am 09. Oktober 2018 den Beschluss: „Der Grundschulstandort in Alverskirchen muss erhalten bleiben.“[15] Mit anderen Worten: Die Schule bleibt im Dorf.
Schulstandort gesichert – aber weiterhin Flächenfraß um jeden Preis
Mit dem Grundsatzbeschluss des Gemeinderates, die Schule im Dorf zu belassen und der Möglichkeit, gemeinsam mit der Grundschule Everswinkel einen Grundschulverbund zu bilden, ist die Zukunft der Schule in Alverskirchen gesichert und damit weiterhin ein wohnortnahes Bildungsangebot gewährleistet.
In der Vergangenheit wurde zur Durchsetzung der Ausweisung überdimensionierter Baugebiete immer wieder der Hinweis verwendet, der Bestand der Schule im Dorf sei gefährdet. So heißt es z. B. in den Westfälischen Nachrichten unter dem Titel „Tür wird für Auswärtige geöffnet“:
„Die Vergabe der im Vergleich zu Nachbargemeinden relativ günstigen Baugrundstücke an junge Ehepaare und Familien würde mit dazu beitragen, den Grundschulstandort Alverskirchen zu sichern.“[16]
Wie in vielen anderen Politikbereichen wird hier der Versuch unternommen, unterschiedliche Interessen gegeneinander auszuspielen: Selbständigkeit der Schule gegen den Erhalt der Natur. Da die Münsterländer Parklandschaft Natur in Hülle und Fülle bietet, können wir in Alverskirchen immer weitere Siedlungsflächen am bisher naturbelassenen Ortsrand in Anspruch nehmen und zu „Dumpingpreisen“ anbieten. Das ist die Kernaussage des vorstehend angeführten Zitats.
Die in den vergangenen Jahren gebetsmühlenartig wiederholte Aussage, mit der Bereitstellung preiswerten Baulands könnten junge Familien zur Erhaltung der Selbständigkeit der Schule „angelockt“ werden, wird weiterhin vom Bürgermeister und der Mehrheit der Kommunalpolitiker zur Fortsetzung der naturzerstörerischen „Kirchturmpolitik“ genutzt.
Mit dem Argument, den Grundschulstandort zu erhalten – der wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, auch in Zukunft gesichert ist – fordert der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel nach wie vor die zum Schutz der Natur und zum Erhalt der dörflichen Strukturen im Landesentwicklungs- und Regionalplan enthaltenen Bestimmungen aufzuheben.[17] Mit der von der aktuellen Landesregierung propagierten und auch von heimischen Kommunalpolitikern immer wieder als geradezu zwingend angesehenen „Entfesselung“[18] durch Streichung der in den Raumordnungsplänen enthaltenen Schutzbestimmungen, soll die Ausweisung von Baugebieten erleichtert und der Wettbewerb um die immer weniger werdenden Einwohner auf diese Weise weiter forciert werden.
Bevorstehende Herausforderungen erfordern nachhaltige Lösungsansätze
Der Wohnungsbedarf der ortsansässigen Bevölkerung in Alverskirchen ist gedeckt. Das haben die Wohnungsbedarfsprognosen, die in den vergangenen Jahren für diesen Ortsteil mehrfach erstellt wurden, hinreichend belegt.[19] Die vom Bürgermeister und den Kommunalpolitikern angestrebte weitere Ausweisung überdimensionierter Baugebiete führt neben der rigorosen Naturzerstörung zu einer weiteren Verschlechterung der Lebensqualität der Dorfbewohner.
Im Hinblick auf die bevorstehenden Herausforderungen wie Klimaschutz, Artensterben und Verkehrswende kommt dem Umgang mit der immer knapper werdenden Ressource Boden eine zentrale Rolle zu. Diese Herausforderungen können nur bewältigt werden, wenn das Leitbild einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung wie es beispielsweise im „NABU-Grundsatzprogramm zum Planen und Bauen in Deutschland“[20] verankert ist, konsequent angestrebt wird.
Auch in dem mitten in der Münsterländer Parklandschaft gelegenen Dorf Alverskirchen können wir es uns nicht leisten dauerhaft Naturräume von unschätzbarem Wert zu zerstören.
[1] Anmerkung: Mit der rohen Geburtenrate wird die Zahl der Lebendgeburten pro Jahr je 1.000 Einwohner beziffert. Im Unterschied zur zusammengefassten Geburtenziffer werden die Geburten nicht nur auf Frauen im gebärfähigen Alter, sondern auf die Gesamtpopulation aller Menschen einer Region bezogen.
[2] Quellenangabe: http://www.factfish.com/de/statistik-land/deutschland/geburtenrate
[3] Quellenangabe: https://de.wikipedia.org/wiki/Geburtenziffer
[4] Quellenangabe: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/bp/Ministerium/Service/Schulstatistik/Amtliche-Schuldaten/jEckd01.pdf
Anmerkung: Zur Veränderung der Grundschülerzahlen in der Gemeinde Everswinkel vgl. Leserbrief „Versöhnen statt spalten“
[5] Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, § 82.
[6] Ebenda, § 83.
[7] Vgl. Bezirksregierung Düsseldorf (Hrsg.): Leitfaden Schulorganisation, August 2018, Seite 35.
[8] Anmerkung: Die Geburtenrate von 8,5 je 1.000 Einwohner bedeutet, dass statistisch betrachtet einer Geburt 117,65 Einwohner entsprechen (1000 dividiert durch 8,5). Der Geburt von 23 Kindern entsprechen dann 2.705 Einwohner (117,65 multipliziert mit 23).
[9] Vgl. zur Altersstruktur des Ortsteils Alverskirchen den Beitrag vom 01. April 2019: „Alverskirchen wird älter“.
[10] Anmerkung: Die Geburtenrate von 7,5 ergibt sich aus den Werten der Tabelle A 1 („Besetzung der Altersjahre in Alverskirchen“), in: Wohnungsbedarf in Alverskirchen, Fortschreibung 2018 (im Auftrag der Gemeinde Everswinkel), Seite 30.
[11] Anmerkung: Wenn 7,5 Geburten auf 1.000 Einwohner entfallen, dann ergibt sich für 1900 Einwohner eine 1,9 mal so große Geburtenzahl (7,5 x 1,9 = 14).
[12] Wohnungsbedarf in Alverskirchen, Fortschreibung 2018 (im Auftrag der Gemeinde Everswinkel), Seite 30.
[13]Anmerkung: Die Geburtenrate von 7,5 je 1.000 Einwohner bedeutet, dass statistisch betrachtet einer Geburt 133,33 Einwohner entsprechen (1000 dividiert durch 7,5). Der Geburt von 23 Kindern entsprechen dann 3.067 Einwohner (133,33 multipliziert mit 23).
[14] Anmerkung: Zur rechtswidrigen Ausweisung überdimensionierter Baugebiete im Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen vgl. insbesondere: NABU-Impuls Stadt Land Fläche.
[15] Gemeinde Everswinkel: Vorlage 065/2018.
[16] Artikel in den Westfälischen Nachrichten vom 16. November 2000: Tür wird für Auswärtige geöffnet.
[17] Artikel in den Westfälischen Nachrichten vom 28. Mai 2019: „Causa Königskamp“ wird im Düsseldorfer Landtag erörtert.
[18] Vgl. Beitrag vom 19. Januar 2018: „Entfesselungspaket II: Landesregierung völlig mutlos“.
[19] Anmerkung: Im Auftrag der Gemeinde Everswinkel wurden jeweils im Jahr 2014, 2015 und 2018 Gutachten zur Ermittlung des Wohnungsbedarfs im Ortsteil Alverskirchen erstellt.
[20] NABU-Bundesverband (Hrsg.): Nachhaltige Siedlungsentwicklung. Das NABU-Grundsatzprogramm zum Planen und Bauen in Deutschland, 1. Auflage 1/2020 (unter Mitarbeit von Alfred Wolk)
Download unter www.NABU.de/umwelt-und-ressourcen/bauen/