Flächenfraß und Bauwahn im Kreis Warendorf

Der Bauwahn im Kreis Warendorf wird ungebrochen fortgesetzt. Laut Mitteilung des Statistischen Landesamtes (IT.NRW) wurden trotz des weiter voranschreitenden Bevölkerungsrückgangs im vergangenen Jahr 1.068 neue Wohnungen erstellt[1]. Für eine immer geringer werdende Bevölkerung wird der naturzerstörerische Flächenfraß ungeniert fortgesetzt und immer mehr Siedlungsfläche in Anspruch genommen.

Fataler Trugschluss

Wie in den übrigen ländlichen Kreisen des Münsterlandes wird auch im Kreis Warendorf seit einigen Jahren weit über das zur Deckung des Wohnungsbedarfs erforderliche Maß hinaus gebaut.[2] Nach der Baubedarfsanalyse des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) werden im Kreis Warendorf vor allem mehr Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut, als zur Bedarfsdeckung erforderlich sind. „Es wird an den falschen Stellen gebaut und es wird das Falsche gebaut“ ist das ernüchternde Fazit der IW-Immobilienexperten.[3]

Nach wie vor überbieten sich die Bürgermeister des Kreises Warendorf im Ausweisen von Neubaugebieten, weil sie hoffen, mit günstigen Baugrundstücken auf der „grünen Wiese“ im Wettbewerb um schwindende Einwohner punkten zu können. Sie unterliegen damit einem fatalen Trugschluss, wie ein Blick auf die Zahlen der Vergangenheit verdeutlicht.[4]

Von 2004 bis zum Jahresende 2020 hatte der Kreis Warendorf einen Bevölkerungsrückgang von – 6.211 Einwohnern zu verzeichnen.[5] In demselben Zeitraum hat sich die Zahl der Wohnungen insbesondere durch die Ausweisung immer neuer Siedlungsflächen um 14.273 erhöht.[6]

Schrumpfung und Alterung als Merkmale der nächsten Jahrzehnte

Die demografische Entwicklung des Kreises Warendorf wird nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung von IT.NRW auch in den nächsten Jahren vor allem durch Schrumpfung und eine Verschiebung der Altersstruktur gekennzeichnet sein.

Die Einwohnerzahl wird sich danach von Ende 2020 bis Anfang 2040 weiter um ca. 7.300 Personen verringern. Der Bevölkerungsverlust entspricht dann insgesamt der Einwohnerzahl einer Stadt wie Sendenhorst.[7]

Im „Demografiebericht und Handlungsprogramm für den Kreis Warendorf“ werden die Eckpunkte der zukünftigen demografischen Entwicklung wie folgt skizziert: „Die Bevölkerung nimmt kontinuierlich und mit zunehmender Dynamik ab. Dieses ergibt sich im Wesentlichen aus dem deutlichen Sterbefallüberschuss, der aus der bereits jetzt feststellbaren Überalterung der Bevölkerung resultiert, und zu geringen Wanderungsgewinnen, die die negative Geburtenentwicklung nicht mehr ausgleichen können.“[8]

Die auch im Kreis Warendorf seit Jahrzehnten unter dem Reproduktionsniveau liegende Geburtenrate hat zur Folge, dass jede Kindergeneration die ihrer Eltern nur zu knapp zwei Dritteln ersetzt. Mit anderen Worten: Bei einer weiter auf einem Niveau von 1,4 bis 1,5 verharrenden Fertilitätsrate schrumpft die jeweils nächste Generation um ein Drittel. Der Rückgang der Geburtenrate und der Geburtenzahl sind als Ereignisse der Vergangenheit irreversibel, und sie beeinflussen die Entwicklung der Zukunft so stark, dass selbst ein Wiederanstieg der Geburtenrate die Talfahrt auf Jahrzehnte nicht mehr verhindern könnte.

In dem im Februar 2014 veröffentlichten Kreisentwicklungsprogramm wird dazu festgestellt: „Der demografische Wandel ist zumindest kurz- und mittelfristig nicht umkehrbar.“ [9]

Demografische Veränderungen werden ignoriert

Obwohl die Fakten seit langem bekannt sind, werden die demografischen Probleme von den kommunalpolitischen Entscheidungsträgern des Kreises Warendorf wider besseres Wissen ignoriert und schöngeredet. Vor allem konservative Politiker versuchen den Bürgern zu suggerieren, durch die Ausweisung immer neuer Baugebiete könnten die Probleme gelöst werden.

Wir befinden uns im Wettbewerb der Regionen[10], dem mit einem ausgeklügelten Marketingkonzept begegnet werden müsse.[11] »Daher wollen wir schnell sein, uns die Butter nicht von anderen Regionen, die ebenfalls für sich werben, vom Brot nehmen lassen …“[12] Um den Zuzug vor allem junger Menschen in den Kreis Warendorf zu erleichtern, müsse die Flächenmobilisierung für die Kommunen erleichtert werden.[13]

Mit der gebetsmühlenartig wiederholten Aussage „Mehr Bauland gleich mehr Einwohner“ soll von den gravierenden demografischen Problemen abgelenkt werden. Dabei wird geflissentlich außer Acht gelassen, dass das Abwerben von Einwohnern durch die Bereitstellung von preisgünstigem Bauland ein Nullsummenspiel ist. Dem Bevölkerungsgewinn jeder Zielgemeinde steht ein gleich großer Bevölkerungsverlust in der Herkunftsgemeinde gegenüber.

Der wohl bekannteste deutsche Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg bezeichnet derartige hilflose Versuche, von dem für jeden sichtbaren „demografischen Wetterleuchten am Horizont[14] abzulenken, als ein schulbuchreifes Beispiel für eine Irreführung der Öffentlichkeit. [15]

Befriedigung von Lobbyinteressen statt Bedarfsdeckung

Es werden Nebelkerzen geworfen und Illusionen gepflegt, um konservative Eigenheimpolitik im Interesse der Immobilienlobby zu betreiben.[16]

Zwar nimmt die Zahl der jungen Familien als Kerngruppe der Einfamilienhausnachfrager weiter ab[17] und die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte nimmt stetig zu[18], dennoch fordert die Mehrheit der Bürgermeister der 13 dem Kreis Warendorf angehörigen Kommunen in geradezu marktschreierischer Manier die Ausweisung immer neuer Baugebiete am Ortsrand für die Bebauung mit vorwiegend Einfamilienhäusern.

Grundlage für den Nachweis der wohnungspolitischen Notwendigkeit der Inanspruchnahme weiterer Siedlungsflächen ist keineswegs ein auch nur in Ansätzen objektives und für die Öffentlichkeit transparentes Wohnungsbedarfsgutachten, wie es in Anbetracht der Tatsache, dass Einfamilienhäuser von allen Wohnformen den größten „ökologischen Fußabdruck“[19] hinterlassen, zu erwarten wäre und wie dies z. B in Baden-Württemberg zwingend erforderlich ist.[20]

Im Kreis Warendorf ist es für die Fortsetzung des Flächenfraßes durch die Erschließung immer weiterer Einfamilienhausgebiete völlig ausreichend, zu behaupten, es liege eine Bewerberliste mit Hunderten von Einfamilienhausinteressenten vor. So wurde z. B. für die Ausweisung von ca. 70 Einfamilienhausgrundstücken für das zum Teil im regionalplanerischen Freiraum liegende Baugebiet „Bergkamp III“ eine Bewerberliste mit angeblich ca. 400 Interessenten herangezogen. [21]

Natürlich ist es in der aktuellen Kapitalmarktsituation mit historisch niedrigen Zinsen kein Problem für einen Bürgermeister, durch entsprechende Werbemaßnahmen mit dem Slogan „Bei uns lässt sich der Traum vom Eigenheim im Grünen noch zu erschwinglichen Preisen realisieren“[22], das Interesse für ein Einfamilienhausgrundstück zu wecken.

Die Investition in ein Einfamilienhaus wird dabei von Vielen in Anbetracht des Fehlens renditestarker Anlagealternativen als gute Wertanlage gesehen. Die ausreichend vorhandenen liquiden Mittel sollen aus Angst vor einer drohenden Geldentwertung möglichst rasch in „Betongeld“ umgewandelt werden.

Einen weiteren Schub erhält die Einfamilienhausnachfrage durch den mehr und mehr um sich greifenden „Pumpkapitalismus“. Aufgrund der unvergleichlich günstigen Finanzierungsbedingungen sind vergleichsweise mehr Menschen bereit, günstige Kredite zur Errichtung eines Einfamilienhauses aufzunehmen als zu Zeiten eines „normalen“ Zinssatzes.

Dem Wunsch einkommensschwacher Bürger nach preiswertem Wohnraum wird mit dem Ausweisen immer neuer Einfamilienhausgebiete am Wenigsten entsprochen. Die Bereitstellung immer neuer Einfamilienhausgrundstücke am Ortsrand dient insbesondere den oben aufgezeigten Kapitalinteressen und darüber hinaus den Interessen der Immobilienwirtschaft.

„Bauen ist – wie könnte es anders sein – kapitalgetrieben. Es ist ein Markt und zwar von erheblichen Ausmaßen. Denn er umfasst nicht nur die ausführenden Gewerke, sondern auch den Grundstückshandel, die Zuliefer- und Baustoffindustrie usf.“[23]

Auch ohne Neubau genügend Wohnraum vorhanden

Statt die kurzfristigen Kapital- und Wirtschaftsinteressen einiger Weniger zu befriedigen, sollte für die Bürgermeister und die Kommunalpolitiker im Kreis Warendorf im Interesse der Allgemeinheit der Schutz der Natur durch Senkung des Flächenverbrauchs im Vordergrund stehen.

Dabei sollten wir uns klar machen, dass in den 50er Jahren nur 15 qm Wohnfläche pro Person zur Verfügung standen. Gegenwärtig sind es im Kreis Warendorf 49,2 qm.[24]

Die Wohnfläche pro Kopf der Bevölkerung wird im Kreis Warendorf zukünftig auch ohne Neubau allein dadurch steigen, dass die Bevölkerung weiterhin dynamisch schrumpft, gleichzeitig aber mehrere Tausend Bestandimmobilien in den nächsten Jahren durch den anstehenden Generationenwechsel frei werden und dem Immobilienmarkt zur Verfügung stehen. Immer weniger Einwohnern steht damit immer mehr Wohnraum zur Verfügung.

Dass immer mehr gebaut werden muss, ist ein Märchen der Bauindustrie. Es gibt bereits jetzt viel ungenutzten Wohnraum und viele leer stehende Gebäude im Kreis Warendorf. Es ist ausreichend Wohnraum vorhanden, er muss nur anders genutzt werden.[25]

Es gibt kein Anrecht auf ein bestimmtes Baurecht an einem bestimmten Ort. In den meisten Kommunen gibt es mehr als genug Einfamilienhäuser, die aufgrund des anstehenden Generationenwechsels erworben, modernisiert und umgebaut werden können – und müssen.[26] Das gilt insbesondere für den Kreis Warendorf.[27]

Der nach wie vor im Kreis Warendorf betriebene „Bauwahn“ hilft nur denen, die daran verdienen. Die Folgen durch das Ignorieren der demografischen Fakten treffen dagegen uns alle – vor allem aber die nachfolgenden Generationen.

Mit dem aktiven Vorantreiben der Flächenversiegelung durch eine verfehlte Siedlungspolitik tun wir im Kreis Warendorf gerade das Gegenteil von dem, was vernünftiger Weise erforderlich wäre: Grünflächen zu erhalten und zu sichern bzw. ihren Anteil auszudehnen.

 

[1] Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW): Pressemitteilung vom 12. Juli 2021, abrufbar unter:
https://www.it.nrw/zahl-der-wohnungen-nrw-seit-2010-um-45-prozent-gestiegen-104191
Wohnungsbestand am 31.12.2019 = 128.580
Wohnungsbestand am 31.12.2020 = 129.648
[2] Vgl. Westfälische Nachrichten vom 20. Juni 2017: „In den Münsterland-Kreisen wird zu viel gebaut“ und Westfälische Nachrichten vom 25. August 2015: „Im Kreis Warendorf wird zu viel gebaut“. Vgl. auch Wolk, Alfred: IW-Studie, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/lexikon/iw-studie/
[3] Vgl. IW-Studie, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/lexikon/iw-studie/
[4] Vgl. vertiefend den Beitrag: Mehr Einfamilienhäuser für immer weniger Familien, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/mehr-einfamilienhaeuser-fuer-immer-weniger-familien/
[5] a) Bevölkerung am 31.12.2004 im Kreis Warendorf: 283.628.
Quelle: IT NRW (Hrsg.), Die Gemeinden NRWs – Informationen aus der amtlichen Statistik – 2005,
abrufbar unter: https://webshop.it.nrw.de/details.php?id=16571&id2=&source=ssearch
b) Bevölkerung am 31.12.2020 im Kreis Warendorf: 277.417
Quelle: IT NRW, Pressemitteilung vom 21. Juni 2021, abrufbar unter: https://www.it.nrw/nrw-einwohnerzahl-zum-jahresende-2020-erstmals-seit-2011-ruecklaeufig-103963
[6] a) Wohngebäude am 31.12.2004 im Kreis Warendorf: 115.375
Quelle: siehe Fußnote 5 a
b) Wohngebäude am 31.12.2020 im Kreis Warendorf: 129.628
Quelle: siehe Fußnote 1.
[7] a) Bevölkerung am 31.12.2020 im Kreis Warendorf: 277.417
Quelle: siehe Fußnote 5 b.
b) Bevölkerung am 31.12.2040 im Kreis Warendorf: 270.169
Quelle: IT.NRW (Hrsg.), Bevölkerungsentwicklung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2018 bis 2040, Seite 180.
Bevölkerungsverlust 2004 bis 2020 = – 6.211 (siehe Fußnote 5)
Bevölkerungsverlust 2020 bis 2040 = – 7.248 (siehe Fußnote 7)
Bevölkerungsverlust insgesamt = – 13.459
[8] Kreis Warendorf (Hrsg.): Demografiebericht und Handlungsprogramm, Juni 2007, Seite 15.
[9] Kreis Warendorf (Hrsg.): Kreisentwicklungsprogramm WAF 2030, Februar 2014, Seite 4.
[10] Die Glocke vom 31. August 2020: „Wir befinden uns im Wettbewerb der Regionen“.
[11] Kreis Warendorf: „Zeigen was wir können im Kreis Warendorf“, Pressemitteilung vom 22. Juni 2017.
[12] Ebenda.
[13] Die Glocke vom 17. Januar 2020: Attraktivität des Kreises muss gestärkt werden.
[14] Birg, Herwig: Die ausgefallene Generation. Was die Demographie über unsere Zukunft sagt, 2005, Seite 11.
[15] Birg, Herwig: Die alternde Republik und das Versagen der Politik. Eine demographische Prognose, 2014, Seite 117.
[16] Kriese, Ulrich (Vorsitzender des NABU Bundesfachausschusses Bauen und Siedlung) im Handelsblatt vom 23. Februar 2021, Gastkommentar: „Homo oeconomicus – Die Debatte über Einfamilienhäuser war überfällig“.
[17] Kreis Warendorf (Hrsg.): Demografiebericht und Handlungsprogramm, Juni 2007, Seite 36.
[18] Siehe hierzu auch den Beitrag: „Mehr Einfamilienhäuser für immer weniger Familien“, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/mehr-einfamilienhaeuser-fuer-immer-weniger-familien/
[19] Arno Bunzel/Carsten Kühl: Stadtentwicklung in Coronazeiten – eine Standortbestimmung, Berlin 2020 (Difu-Sonderveröffentlichung), Seite 19.
[20] Die Bestimmungen zu Plausibilitätsprüfung der Bauflächenbedarfsnachweise in Baden-Württemberg sind abrufbar unter: https://wm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-wm/intern/Dateien_Downloads/Bauen/Bauvorschriften/Hinweise_Plausibilitaetspruefung.pdf
[21] Vertiefende Ausführungen zur Ausweisung eines neuen Baugebietes in Everswinkel siehe im Glossar: „Bergkamp III“, abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/lexikon/bergkamp-iii/
[22] Kreis Warendorf (Hrsg.): Demografiebericht und Handlungsprogramm, Juni 2007, Seite 36.
[23] Die Aussage ist einer Rezension zu der 2. Auflage des Buches von Daniel Fuhrhop „Verbietet das Bauen“ entnommen. Die Rezension ist abrufbar unter: www.kunstbuchanzeiger.de/de/themen/architektur/rezensionen/2085/
[24] Quelle: siehe Fußnote 1.
[25] Vgl. dazu auch die Vorschläge von Daniel Fuhrhop in seinem Buch „Verbietet das Bauen“.
[26] Kriese, Ulrich: Vgl. Fußnote 16.
[27] Kreis Warendorf (Hrsg.): Kommunale Pflegeplanung 2018.
In dem vorgelegten Pflegeplan wird zum einen hervorgehoben, dass die Mehrzahl der Wohnungen im Kreis Warendorf nicht seniorengerecht ist (Seite 10) und infolgedessen adäquate Umbaumaßnahmen erforderlich sind und zum anderen der Anteil der Hochaltrigen stark ansteigt (Seite 13), was zugleich bedeutet, dass infolge des dadurch zwangsläufig bedingten Generationenwechsels ein erheblicher Anteil von Bestandsimmobilien zur Verfügung stehen wird.