Prävention für mehr Verkehrssicherheit – in Alverskirchen bisher Fehlanzeige

Jedes Opfer eines Verkehrsunfalls ist eines zu viel.“ Deshalb hat sich die Bundesregierung seit langem zum Ziel gesetzt, die Verkehrssicherheit zu erhöhen.[1] Dazu verabschiedet sie Rechtsvorschriften und fordert insbesondere durch entsprechende Sensibilisierungskampagnen die im Bereich der Straßenverkehrssicherheit beteiligten Behörden auf, durch vielfältige Präventionsmaßnahmen Gefahren von Verkehrsteilnehmern abzuwenden.

„Vorbeugen ist besser als heilen“

Die aus dem Bereich der Gesundheitsvorsorge stammende Lebensweisheit „Vorbeugen ist besser als Heilen“ hat ihre Gültigkeit gleichermaßen auch, wenn es um die Verhütung von Verkehrsunfällen geht. Vorbeugende Maßnahmen zu Verminderung von Risiken im Straßenverkehr sind Zukunftsinvestitionen, da durch jeden vermiedenen Unfall menschliches Leid verhindert wird und unter Umständen Menschenleben gerettet werden.

Neben zahlreichen anderen Institutionen sind vor allem die Kommunen und deren politischen Entscheidungsträger dazu aufgerufen, sich im Interesse des Wohles ihrer Bürger für die Unfallvorbeugung zu engagieren.

Auf kommunaler Ebene gilt es primär das innerorts an den Knotenpunkten bestehende Gefahrenpotenzial durch eine geeignete Gestaltung so weit wie möglich zu reduzieren. Komplexe Verkehrssituationen an innerörtlichen Kreuzungen führen häufig zu Schadensereignissen, die dominiert werden von Unfällen zwischen Wartepflichtigen und bevorrechtigt Querenden.

Zahlreiche Studien belegen, dass komplexe Verkehrsräume im Kreuzungsbereich gerade für ältere Autofahrer aufgrund altersbedingter physischer und psychischer Veränderungen eine große Herausforderung darstellen, deren Bewältigung durch das Zusammentreffen verschiedener Verkehrsteilnehmer an stark befahrenen Straßen zusätzlich belastet wird.[2]

Infrastrukturelle Defizite abbauen

Da das Abschätzen von Geschwindigkeiten und Entfernungen mit zunehmendem Alter immer schwerer fällt, ist die Gewährleistung guter Sichtverhältnisse wesentliche Voraussetzung für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in Kreuzungsbereichen.

Viele der bestehenden Knotenpunkte weisen Defizite auf, die unfallbegünstigend wirken können. Dazu zählen vor allem die fehlenden Sichtbeziehungen in Einmündungen bzw. Kreuzungen. Oft sind es Werbetafeln, sichtbehindernder Bewuchs oder parkende Kraftfahrzeuge, die eine freie Sicht beinträchtigen.

Im Gegensatz zu möglicherweise erforderlichen straßenbaulichen Veränderungen, die häufig einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, führt die sofortige Beseitigung sichteinschränkender Hindernisse unmittelbar zu positiven Resultaten im Hinblick auf die Verkehrssicherheit.

Eine pro aktive kommunale Strategie, die darauf abzielt eine geeignete Infrastruktur für gefährdete Verkehrsteilnehmer zu schaffen, setzt geeignete Maßnahmen zur Beseitigung von Sichtbehinderungen sofort um, statt sie auf die lange Bank zu schieben.

Gefahr erkannt – aber keineswegs gebannt

Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen unverständlich, dass sich die Verwaltung und die Mehrheit der Kommunalpolitiker in Everswinkel gegen die sofortige Reduzierung des Gefahrenpotenzials an der Einmündung Wiemstraße/Telgter Straße in Alverskirchen entschieden haben. Die Alverskirchener Bürger mussten verständnislos zur Kenntnis nehmen, dass der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Sitzung des Ausschusses für Planung, Umwelt- und Klimaschutz eingebrachte Antrag auf Entfernung einer sichtbehindernden Werbetafel, auf der sich Hinweise auf Betriebe im nahegelegenen Gewerbegebiet „Kleikamp“ befinden, abgelehnt wurde.[3]

In der Niederschrift zur Ausschusssitzung heißt es zur Begründung der Ablehnung, es handele sich um „eine Abwägung zugunsten des Schildes und nicht für die Sicherheit Bürger“.[4]

Die Entscheidung für die Erhaltung einer sichtbeeinträchtigenden Werbetafel an ihrem jetzigen Standort und der damit zugleich getroffenen Entscheidung gegen die Sicherheit der Bürger ist an Zynismus wohl kaum zu überbieten.

Das priorisierte Interesse an einer Werbetafel, deren Notwendigkeit bezweifelt werden darf, da jeder Kraftfahrzeugführer in der Regel mit Hilfe eines Navigationsgerätes an sein Ziel geführt wird, bringt die mangelnde Wertschätzung von Verwaltung und Kommunalpolitkern gegenüber dem Interesse der Verkehrsteilnehmer nach einer möglichst konfliktfreien Gestaltung des Kreuzungsbereichs in entlarvender Weise zum Ausdruck.

Die aberwitzige Weigerung, die eingeschränkten Sichtverhältnisse im Bereich Wiemstraße/Telgter Straße zeitnah zu verringern, ist umso unverständlicher, da sich die kommunalpolitischen Entscheidungsträger seit Jahren gegenseitig bestätigen, dass die stark frequentierte Kreuzung aufgrund struktureller Defizite konkrete Gefahren für die Verkehrsteilnehmer aufweist. Bereits in einem Antrag zur Sitzung des Bezirksausschusses vom 09. Juli 2013 heißt es: „Diese Gefahrenstelle sollte entschärft werden“.[5] 

Mögliche Folgen eingeschränkter Sichtverhältnisse

Wie notwendig die Entschärfung der Gefahrenstelle Wiemstraße/Telgter Straße ist, verdeutlicht eine Meldung der Polizei des Kreises Warendorf vom 17. Juli 2017:

„Ein 84jähriger Autofahrer befuhr mit seinem Pkw die Wiemstraße und beabsichtigte an der Einmündung mit der Telgter Straße nach links in Fahrtrichtung Telgte abzubiegen. Beim Abbiegen kommt es zu Zusammenstoß mit dem Pkw eines 40jährigen Autofahrers aus Münster. Dieser befuhr die Telgter Straße aus Richtung Telgte kommend in Fahrtrichtung Alverskirchen. Bei dem Zusammenstoß verletzten sich beide Autofahrer schwer. Rettungskräfte brachten die Verletzten in ein Krankenhaus.“ [6]

Die Unfallschilderung bestätigt die von Verkehrsexperten immer wieder betonte Erkenntnis, dass Senioren besonders oft überfordert sind beim Abbiegen in komplexen Kreuzungen und Einmündungen, bei denen Regelungen oder Interaktionserfordernisse nicht deutlich oder erst spät erkennbar sind.[7]

Mit Bezug auf die Senioren ergibt sich daraus die allgemeine Forderung zur Vereinfachung: „Nimmt die Leistungsfähigkeit des Durchschnittlenkers ab, muss man die Anforderungen der Fahraufgabe vereinfachen und eine menschengerechte Umwelt konstruieren.“ [8]

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und dem damit einhergehenden weiterhin stetig ansteigenden Anteil der Autofahrer in der Altersgruppe 65+ ist es Handlungsauftrag für Politik und gesellschaftliche Akteure, älteren Menschen eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen.

Die Weigerung von Verwaltung und Kommunalpolitik, die Sichtverhältnisse an einem neuralgischen Knotenpunkt in Alverskirchen zeitnah zu verbessern, wird dem vorgenannten Handlungsauftrag in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Die Bemühungen, älteren Menschen durch sichere Straßen eine lebenswerte Umwelt zu gestalten, werden damit unterlaufen.

Einseitige Bevorzugung von Partikularinteressen

Statt Verkehrssicherheit als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten, die zu den wichtigsten Maßnahmen auf dem Gebiet der Verkehrspolitik zählt, sehen sich Verwaltung und Kommunalpolitiker in Everswinkel ganz offensichtlich in erster Linie als Sachwalter der Partikularinteressen einzelner Gewerbetreibender.

Während Bäume sofort zu fällen sind, wenn sie auch nur in Ansätzen den Verdacht erwecken, dass sie eine Sichtbehinderung darstellen könnten, genießen sichtbehindernde Werbeschilder ganz offensichtlich einen nahezu absoluten Bestandsschutz.

So wurden vor einiger Zeit zwei kerngesunde Bäume, die sich unmittelbar vor und hinter der Werbetafel befanden, gefällt. Mit der Begründung, die Fällung der beiden Bäume mit einem Stammdurchmesser von 45 bzw. 50 cm sei zur Gewährleistung der Einhaltung eines Sichtdreiecks unausweichlich, wurde von der Verwaltung der Einsatz der Kettensäge gerechtfertigt. In der Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Planung, Umwelt- und Klimaschutz wird ausdrücklich betont:

„Die beiden Platanen auf der Westseite der Telgter Straße am Ortseingang …können nicht erhalten werden, …da sie im Sichtdreieck von der untergeordneten Wiemstraße auf die Landesstraße zur Blickrichtung Norden stehen und dieses mehr und mehr abdecken.“[9]

Nach Ansicht der Verwaltung stellt ein 45 cm bzw. 50 cm dicker Baum im Gegensatz zu einer 120 cm breiten Werbetafel ein Sichthindernis innerhalb des sog. Sichtdreiecks dar.

Foto: Fällung der beiden Bäume im Februar 2020 zur Gewährleistung des Sichtdreiecks

Das oben stehende Foto von den Fällarbeiten lässt deutlich erkennen, dass von dem 120 cm breiten Werbeschild eine wesentlich größere Sichtbehinderung ausgeht, als von dem 50 cm dicken Baum.

Hier stellt sich die Frage, ob im Sichtdreieck stehende Bäume nach anderen Regelwerken zu beurteilen sind als Werbetafeln.

Die Beantwortung dieser Frage ist für die Verkehrsteilnehmer, die täglich den sensiblen Kreuzungsbereich passieren, relativ unerheblich. Ihnen drängt sich vielmehr die Frage auf, weshalb sich die Gemeindeverwaltung Everswinkel strikt einer Maßnahme verweigert, die mit minimalem Aufwand sofort zu einer Verbesserung der verkehrlichen Situation und damit zu einer Verringerung des Gefahrenpotenzials führen würde.

Prävention als Chance begreifen

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat weist in seinen vielfältigen Stellungnahmen die Kommunen und Straßenverkehrsbehörden aufgrund der hohen Bedeutung für die Verkehrssicherheit immer wieder darauf hin, jede Chance zu ergreifen, die Sicherheit an innerörtlichen Kreuzungen und Einmündungen zu erhöhen.

Diese Chance sollte auch die Gemeinde Everswinkel durch die unverzügliche Entfernung der Werbetafel an der Einmündung Wiemstraße/Telgter Straße umgehend nutzen.

Auch in Alverskirchen sollte zukünftig der bewährte Sinnspruch „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt!“ Leitmotiv für das umgehende Beseitigen von Gefahrenquellen im Straßenverkehr sein und Prävention für mehr Verkehrssicherheit zur Selbstverständlichkeit werden.

weiterführende Beiträge:
Sichtbehinderung durch Werbetafel
Bäume weg ja – Gewerbeschild nein

[1] Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur verfolgt das Ziel der „Vision Zero“: keine Toten im Straßenverkehr.
[2] Vgl. z. B. DEKRA: Möglichst langer Mobilitätserhalt, abrufbar unter: https://www.dekra-roadsafety.com/de/moeglichst-langer-mobilitaetserhalt/
[3] Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Gemeinde Everswinkel: Antrag auf Beseitigung eines Gefähr dungspotenzials, Sitzung des Ausschusses für Planung-, Umwelt- und Klimaschutz am 01. Juni 2021, abrufbar unter: https://gruene-everswinkel.de/userspace/NW/ov_everswinkel/Dokumente/2021.05-04_Antrag_Einmuendung_Wiemstrasse.pdf
[4] Gemeinde Everswinkel: Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Planung, Umwelt- und Klimaschutz vom 01. Juni 2021.
[5] SPD-Fraktion im Rat der Gemeinde EverswinkeL: Antrag zur Sitzung des Bezirksausschusses Alverskirchen am 09. Juli 2013.
[6] Polizei Warendorf, Meldung vom 17. Juli 2017, abrufbar unter: https://www.wa.de/polizei-meldungen/kreis-warendorf/pol-waf-everswinkel-alverskirchen-zwei-schwer-verletzte-nach-zusammenstoss-zr-8492785.html
[7] Vgl. Rytz, Michael: Senioren und Verkehrssicherheit. Von der Analyse zur Prävention, Bern 2006, Hrsg. Verkehrsclub der Schweiz, Seite 9 ff, abrufbar unter: https://www.physik.uzh.ch/dam/jcr:ffffffff-bbb5-b70d-0000-0000141344f2/senioren_studie_de.pdf
[8] Ebenda.
[9] Gemeinde Everswinkel: Vorlage 080/2018 zur Sitzung des Ausschusses für Planung und Umweltschutz am 11. Dezember 2018.