Der „Königskamp“ im Jahr 2019

“The same procedure as every year“. In Anlehnung an das vorstehende Motto des englischen Komikers Freddie Frinton haben Verwaltung und Kommunalpolitiker der Gemeinde Everswinkel – wie viele Jahre zuvor – auch 2019 erhebliche Anstrengungen unternommen, um zusätzliche Bebauungspotentiale im raumplanerischen Freiraum des Ortsteils Alverkirchen auszuweisen. [1] Mit der Ausweisung überdimensionierter Baugebiete auf der „grünen Wiese“ wird seit langem versucht, den unabwendbaren Folgen des demografischen Wandels zu entgehen. Kirchturmpolitik auf Kosten der Natur und auf Kosten der Nachbarkommunen lautet nach wie vor die Devise.[2]

Schutzgedanken ignoriert

Am 10. Juli 2019 wurde im Everswinkeler Gemeinderat der Bebauungsplan Nr. 58 „Königskamp III“ beschlossen und damit erneut offenbart, dass bei der Mehrheit der Kommunalpolitiker der Wille zu einer freiraumschonenden Entwicklung wenig ausgeprägt ist.

Mit dem Beschluss, weitere Bauflächen am Ortsrand auszuweisen, wurde zum wiederholten Mal der Schutzgedanke, den Außenbereich vor Überbauung zu bewahren und den Freiraum zu erhalten, missachtet. Das Ziel dieses Schutzgedankens ist es, „Freiraumflächen für die land- und forstwirtwirtschaftliche Nutzung, als Kultur- und Naturlandschaften sowie als Erholungsräume zu erhalten und den Rückgang der Freiraumflächen zu reduzieren“.[3]

Die Entscheidung des Everswinkeler Gemeinderates, die Zersiedelung im Außenbereich des Ortsteils Alverskirchen fortzusetzen, zeigt, dass die rechtlichen Schranken, die darauf abzielen den Außenbereich vor Überbauung zu schützen, de facto wirkungslos sind. Auch im Jahr 2019 fehlte bei den kommunalen Entscheidungsträgern ganz offenbar das Bewusstsein für die Auswirkungen hoher Flächeninanspruchnahme. Und bei den zuständigen Aufsichtsorganen mangelte es ganz offensichtlich weiterhin an dem Bemühen, die bestehenden Vollzugsdefizite bei der Umsetzung raumplanerischer Bestimmungen zu beseitigen.[4]

§ 13 b BauGB missbräuchlich angewendet

Mit Hilfe des zeitlich befristeten § 13 b BauGB können Kommunen, „deren Situation aufgrund vorhandener Wohnungsnot dies im besonderen Maße erfordert“ [5] ein beschleunigtes Bebauungsplanverfahren ohne Änderung des Flächennutzungsplans und ohne Durchführung des sonst erforderlichen Ökoausgleichs durchführen. Nach der Intention des Gesetzgebers sollen die Sonderregelungen des § 13 b BauGB nur in Anspruch genommen werden, wenn der dringende Wohnraumbedarf nachgewiesen wird. Diesen dringenden Wohnraumbedarf sah die Gemeinde Everswinkel 2019 für den Ortsteil Alverskirchen als gegeben an.

Ein eigens von der Gemeinde Everswinkel für den Ortsteil Alverskirchen in Auftrag gegebenes Wohnungsbedarfsgutachten war 2015 zu dem Ergebnis gekommen, das der ortsteilspezifische Wohnungsbedarf mit der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 56 „Königskamp II“ bis zum Jahr 2030 gedeckt werden könne. Trotz der Ausweisung der Bauflächen im „Königskamp II“ und der gleichzeitigen Realisierung weiterer Innenentwicklungspotentiale hat sich zwischenzeitlich jedoch der Bevölkerungsrückgang in Alverskirchen weiter fortgesetzt.[6]

Dass der seit langem vorhersehbare Bevölkerungsrückgang aufgrund der auch in Alverskirchen seit Jahrzehnten zu geringen Geburtenrate weiter voranschreitet, obwohl in den letzten Jahren in erheblichem Umfang neue Wohneinheiten geschaffen wurden, lässt nach Ansicht der Gemeinde Everswinkel auf einen eklatanten „Wohnungsmangel“ in diesem Ortsteil schließen. Für die Gemeinde Everswinkel war es deshalb 2019 alternativlos, den Bebauungsplan „Königskamp III“ aufzustellen. Nach Ansicht der Gemeinde machte die vorhandene „Wohnungsnot“ die Inanspruchnahme der Sonderregelungen des § 13 b BauGB in besonderem Maße erforderlich.

Die im Bebauungsplan zum „Königskamp III“ angeführte Begründung zur Inanspruchnahme weiterer Flächen zur Errichtung von überwiegend Einfamilienhäusern auf einer im Freiraum gelegenen Fläche verdeutlicht allerdings die wahren Absichten: Die Entwicklung von zusätzlichem Bauland soll vor dem Hintergrund des fortschreitenden demografischen Wandels den prognostizierten Rückgang der Eiwohnerzahl verhindern, um eine „optimale Auslastung der vorhandenen Infrastrukturangebote in Alverskirchen“ zu gewähleisten.[7]

„Im Hinblick auf den Erhalt der im Ortsteil vorhanden Infrastrukturausstattung sei eine Baulandentwicklung sinnvoll, die den Nachfragebedarf der bestehenden Einrichtungen abdeckt“ heißt es in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 58 „Königskamp III“.[8] Mit der angeführten Begründung gibt die Gemeinde Everswinkel unmissverständlich zu erkennen, dass die Aufstellung des Bebauungsplans nach § 13 b BauGB in erster Linie den demografischen Entwicklungen im Ortsteil Alverskirchen entgegegn wirken soll.

Der Bebauungsplan dient folglich nicht der Behebung von Wohnraummangel, sondern der Generierung von Grunstücksnachfrage zur Aufrechterhaltung kommunaler Infrastrukturen  und läuft damit dem originären Planziel des § 13 b BauGB zuwider.

Landesplanerische Zielsetzungen ad absurdum geführt und Ökoausgleich verweigert

Nur durch die missbräuchliche Inanspruchnahme des § 13 b BauGB war es der Gemeinde Everswinkel 2019 möglich, ohne Änderung des Flächennutzungsplans, der eine Genehmigung der Bezirksregierung Münster erforderlich gemacht hätte, den Bebauungsplan „Königskamp III“ auf den Weg zu bringen und die landesplanerischen Zielsetzungen erneut ad absurdum zu führen.

Darüber hinaus glaubt die Gemeinde Everswinkel durch den Rückgriff auf das „Sonderangebot“ des § 13 b BauGB ein „Schnäppchen“ machen zu können. Sie sieht hier die Chance auf den Ausgleich bereits in der Vergangenheit erfolgter Natureingriffe in Höhe von 3.923 Biotopwertpunkten verzichten zu können. [9]

Perspektiven für die Zukunft

Bei einem Ortsspaziergang im Rahmen der Erstellung eines Gemeindeentwicklungskonzepts wurde den teilnehmenden Bürgern am 28. September 2019 anhand eines Übersichtsplans bereits die Fläche präsentiert, auf der demnächst im bauplanerischen Außenbereich das Baugebiet „Königskamp IV“ ausgewiesen werden soll. Den Bürgern wurde damit nicht nur fast beiläufig vermittelt, dass die Zerstörung der Natur im Ortsteil Alverskirchen ungeniert fortgesetzt werden soll. Verdeutlicht wurde auf diese Weise auch, dass die Gemeinde Everswinkel bereits vor Fertigstellung des Gemeindeentwicklungskonzepts entschieden hat, die in der Vergangenheit betriebene Kirchturmpolitik weiter zu betreiben und die Regelungen zum Schutz des Freiraums zu unterlaufen.

Das Scheitern des Versuchs, durch den Ausverkauf der Natur im Umgang mit dem demographischen Wandel auf Kosten der Nachbarkommunen Vorteile zu gewinnen, ist längst offensichtlich. Trotzdem hält die Gemeinde Everswinkel an dem bisherigen Motto fest: Wir haben im Münsterland genug Natur, das bisschen am Ortsrand kann doch weg.

Bleibt mit Blick auf das Jahr 2020 nur zu wünschen: „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist“ (Karl Valentin).

 

[1] Anmerkung: Die Ausweisung zusätzlicher Baugrundstücke im Außenbereich ist in Alverskirchen nur für den Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung zulässig, da es sich laut Regionalplan Münsterland um einen sogenannten Eigenentwicklungsortsteil handelt. Weitere Ausführungen hierzu finden sich unter: „Wettbewerb um Einwohner – versus Regionalplanung“.
[2] Anmerkung: Zu den vielerorts unternommenen Versuchen, dem demografischen Wandel durch das „Anlocken“ von Einwohnern aus den Nachbarkommunen zu begegnen, siehe: „Kirchturmdenken“.
[3] Die Bundesregierung (Hrsg.): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Neuauflage 2016.
[4] Anmerkung: Zur mangelhaften Umsetzung vorhandener Rechtsnormen siehe: „Vollzugsdefizit“.
[5] Land Brandenburg, Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung: Vortrag anlässlich der Planungsamtsleitertagung am 26. April 2018, Potsdam, Skript Seite 41.
[6] Anmerkung: Zur rückläufigen Bevölkerungsentwicklung trotz zahlreicher neuer Wohneinheiten siehe insbesondere „ Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplans Nr. 58 „Königskamp III“.
[7] Gemeinde Everswinkel: Begründung zum Bebauungsplan Nr. 58 „Königskamp III“, Juli 2019, Seite 10.
[8] Ebenda, Seite 11.
[9] Anmerkung: Ausführliche Hinweise zur Weigerung der Gemeinde Everswinkel, den Ökoausgleich durchzuführen, finden sich einem Artikel der Zeitschrift „Naturzeit Münsterland“ unter dem Titel „Flächenverbrauch in Everswinkel“, Seite 32 f.