In seiner Sitzung am 12. Dezember 2022 hat der Regionalrat Münster den Aufstellungsbeschluss zur Änderung des Regionalplans gefasst. Mit der Änderung des Regionalplans sollen die Voraussetzungen einer nachhaltigen und flächensparenden Siedlungsentwicklung für das Münsterland geschaffen werden. Dabei wird der Anspruch erhoben, für die im Plangebiet liegenden Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf sowie für die kreisfreie Stadt Münster die Zersiedelung zu begrenzen, den Schutz des Freiraums vor weiteren Zerschneidungen zu gewährleisten und die zukünftige Flächeninanspruchnahme möglichst zu verringern. Veränderungen, die sich durch den demografischen Wandel ergeben, sollen in die Planung einbezogen werden.[1]
Da sich die Siedlungsentwicklung der Kommunen im Regelfall nur innerhalb der im Regionalplan festgelegten Siedlungsbereiche vollziehen darf, hängt die Erreichung der gestellten Ansprüche entscheidend davon ab, in welchem Umfang den 66 Städten und Gemeinden im Münsterland für den rund 20 Jahre umfassenden Planungszeitraum Flächenpotenziale zur Verfügung gestellt werden.
Die Steuerungswirkung des Regionalplans ist dabei im Hinblick auf Reduzierung des Flächenverbrauchs für den Wohnungsbau ganz entscheidend davon abhängig, ob es gelingt, die Flächenzuweisung an den sich im Münsterland abzeichnende Bevölkerungsrückgang anzupassen.
Beispiel: Kreis Warendorf
Die beispielhafte Auseinandersetzung mit der Wohnbauflächenbedarfsberechnung für den Kreis Warendorf verdeutlicht, in welch eklatantem Ausmaß das übergeordnete Ziel der Flächenreduzierung mit dem vorliegenden Regionalplanentwurf verfehlt wird: 807 Hektar bisher vorwiegend landwirtschaftlich genutzter Flächen sollen als sogenannte „Flächenpotenzialbereiche“ für die 13 Kommunen des Kreises Warendorf vor dem Hintergrund einer sich im Planungszeitraum voraussichtlich um rund 10.000 Einwohner reduzierten Bevölkerung für den Bau von 10.121 Wohneinheiten zur Verfügung stehen.
Mehrkomponentenmodell
Ausgangspunkt für die Berechnung des Wohnflächenbedarfs ist zunächst die Ermittlung des Wohnungsbedarfs (Anzahl Wohneinheiten) anhand eines sogenannten Mehrkomponentenmodells.[2]
Grundlage jeder Vorausberechnung des zukünftigen Wohnungsbedarfs ist zum einen die voraussichtliche Anzahl der Einwohner einer Region zum Ende des Planungszeitraums und zum anderen die Veränderung der Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen (Haushaltsgröße).
Bevölkerungsentwicklung bis 2045
Steigt die Bevölkerung, erhöht sich der Wohnraumbedarf. Schrumpft die Bevölkerung, ist grundsätzlich auch entsprechend weniger Wohnraum erforderlich.
Im Münsterland ist aufgrund der jahrzehntelangen zu geringen Geburtenrate und der gleichzeitig dynamisch ansteigender Sterberate die natürliche Bevölkerungsentwicklung rückläufig. Das dadurch im Zeitablauf immer größer werdende Bevölkerungsdefizit kann durch Zuwanderung aus anderen Regionen lediglich abgeschwächt, langfristig aber keineswegs kompensiert werden.
Dabei vollzieht sich die demografische Veränderung infolge der verschiedenartigen örtlichen Gegebenheiten in unterschiedlicher Intensität. Die Bezirksregierung geht davon aus, dass sich die Bevölkerung in den 13 Kommunen des Kreises Warendorf bis zum Ende des Planungszeitraums 2045 insgesamt um 10.607 Einwohner verringert haben wird (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Bevölkerungsveränderung:[3]
Veränderung der Haushaltsgröße
Bei der Ermittlung des zukünftigen Wohnungsbedarfs ist neben der voraussichtlichen Entwicklung der Bevölkerung auch die Veränderung der durchschnittlichen Anzahl der Bewohner einer Wohnung von Bedeutung. Unterstellt wird, dass in jeder Wohnung ein Haushalt lebt. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, umso weniger Wohnungen werden benötigt und umgekehrt.
Vor allem durch die Verschiebung der Altersstruktur und durch Veränderung der familiären Beziehungen wird der Trend zur Bildung kleinerer Haushalte begünstigt. So kann sich auch bei einer schrumpfenden Bevölkerung ein zusätzlicher Wohnungsbedarf ergeben, wenn sich gleichzeitig die durchschnittliche Haushaltsgröße verringert.
Auch im Münsterland werden zukünftig im Schnitt weniger Menschen in einem Haushalt zusammenleben. Das hat nicht nur Einfluss auf die Anzahl der Wohnungen, sondern bedeutet auch, dass vor allem mehr kleine Wohnungen für Ein- und Zweipersonenhaushalte nachgefragt werden.
Der Bevölkerungsrückgang bei gleichzeitiger Verkleinerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße führt bis 2045 im Kreis Warendorf zu einem rechnerisch nahezu konstant bleibenden Wohnungsbedarf.
Tabelle 2: Haushaltsentwicklung[4]
Vergleich des aktuellen Wohnungsbestands mit dem künftigen Wohnungsbedarf
In den vergangenen Jahren wurden im Kreis Warendorf über den erforderlichen Bedarf hinaus Wohnungen gebaut. „Es wird an den falschen Stellen gebaut und es wird das Falsche gebaut“, lautete der warnende Hinweis in verschiedenen Studien.[5]
Vor diesem Hintergrund ergibt die Gegenüberstellung der aktuell im Kreis Warendorf vorhandenen Wohnungen in Höhe von 129.648 (Tabelle 3) mit dem bis zum Jahr 2045 voraussichtlich erforderlichen 127.300 Wohneinheiten (Tabelle 2) keinen weiteren Wohnbaubedarf.
Ein bereits heute und voraussichtlich auch in Zukunft vorhandener rechnerischer Wohnungsüberhang bedeutet, dass im Interesse einer nachhaltigen und flächensparenden Siedlungsentwicklung im Kreis Warendorf in den nächsten Jahrzehnten keine weiteren Wohnbauflächen im Regionalplan ausgewiesen werden müssten.
Mit einem Verzicht auf die Ausweisung weiterer Siedlungsflächen könnte im Kreis Warendorf das gesamtgesellschaftlich langfristig angestrebte Ziel „Netto-Null-Flächenverbrauch“ sofort erreicht werden.[6]
Siedlungsflächenpotenzialmodell als Garant zur Priorisierung der Ökonomie
Ganz offensichtlich haben sich die Bezirksregierung und die Mehrheit der im Regionalrat vertretenen Entscheidungsträger jedoch weniger auf das Ziel einer Flächenreduzierung als vielmehr auf das ebenfalls im Entwurf des Regionalplans postulierte Ziel der „Förderung von Wirtschaftswachstum“[7] fokussiert. Getreu dem Motto „Ökonomie vor Ökologie“[8]. Durch großzügige Siedlungsflächenausweisungen soll ganz offensichtlich die Grundlage für eine florierende Bau- und Immobilienwirtschaft erhalten werden.
Anders ist es wohl kaum zu erklären, dass die Regionalplanungsbehörde für das Münsterland ein neues Modell für die Steuerung der Siedlungsentwicklung mit dem Titel „Siedlungsflächenpotenzialmodell (SFPM)“ erarbeitet hat[9], mit dem es letztendlich doch gelingt, auch für den Kreis Warendorf einen enormen Wohnungs- und damit auch zukünftigen Siedlungsflächenbedarf für den Wohnungsbau zu suggerieren.
Tabelle 3: Ermittlung des Wohnungsbedarfs (Wohneinheiten)[10]
Flächenverbrauchsziel „Netto-Null“ ausgeschlossen
Das Modell wurde bewusst so konzipiert, dass eine Reduzierung des Flächenverbrauchs auf „Netto-Null“ von vornherein ausgeschlossen ist.
Alle als Grundzentrum eingestuften Gemeinden erhalten unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten ein Mindestflächenkontingent für Wohnen von 10 Hektar, kleinere Mittelzentren mit weniger als 30.000 Einwohner ein Mindestflächenkontingent von 20 Hektar und alle übrigen Mittelzentren ein Mindestflächenkontingent von 30 Hektar. In den Erläuterungen zu dieser „Mindestflächenzuweisung“ heißt es lapidar, dass diese Festlegung den „Gesamtflächenbedarf des Plangebiets geringfügig erhöht“.[11]
In einem komplexen mehrstufigen Rechenverfahren wird für den Kreis Warendorf bis zum Ende des Planungszeitraums ein zusätzlicher Bedarf von 10.121 Wohneinheiten ermittelt (Tabelle 3), für deren Erstellung mindestens 271 Hektar Siedlungsfläche (Tabelle 4) neu ausgewiesen werden sollen.
Unklar bleibt dabei, weshalb der erforderliche Ersatzbedarf (6.222 WE), der vor allem durch den Abriss bisheriger Bausubsatz entsteht, zwangsläufig überwiegend auf neu auszuweisenden Flächen erfolgen muss. Mit der Berücksichtigung einer Fluktuationsreserve (2.083 WE) in Höhe von 3% des Wohnungsbestandes soll zukünftig erreicht werden, dass dauerhaft 3 von 100 Wohnungen leer stehen.
Festlegung der Wohneinheiten je Hektar Siedlungsfläche
Entscheidend für das Ergebnis bei der Umrechnung von Wohneinheiten in Siedlungsfläche ist die Höhe über die Annahme der durchschnittlichen Wohneinheiten je Hektar Wohnbaufläche (Dichtewert). So erfordert beispielsweise ein Dichtewert von 25 Wohneinheiten je Hektar doppelt so viel Fläche wie ein Dichtewert von 50 Wohneinheiten je Hektar.
Über die Festlegung eines entsprechend hohen Dichtewertes im Regionalplan könnte eine effektive Flächenreduzierung erfolgen. Diese Chance wird aber im vorliegenden Regionalplanentwurf vertan.
Den Kommunen werden modifizierte Dichtewerte, die sich aus Daten der Vergangenheit ergeben, zugeordnet. Gemeinden, die bisher aufgrund der Ausweisung von überwiegend Einfamilienhausgebieten recht großzügig mit der Ressource Boden umgegangen sind, werden dafür im neuen Regionalplan mit der Zuweisung eines relativ geringen Dichtewertes und folglich einem hohen Siedlungsflächenpotenzial „belohnt“.
Tabelle 4: Wohnbauflächenbedarfe[12]
Allerdings wird in dem vorliegenden Regionalplanentwurf ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die ermittelten Siedlungsflächenbedarfe nicht 1:1 umgesetzt werden müssen. Es bleibt den jeweiligen Städten und Gemeinden überlassen, das Ziel des Flächensparens anzustreben.[13]
Flächenbedarf bis zum Dreifachen erhöht
Das gesamtgesellschaftlich angestrebte Flächensparziel wird jedoch letztlich ad absurdum geführt, da das neue „Siedlungsmodell“ bewusst so konzipiert wurde, „dass die Potenzialbereiche bis zum Dreifachen über den eigentlichen Flächenbedarf einer Gemeinde hinausgehen können (Tabelle 4).“[14]
Der für den Kreis Warendorf zunächst ermittelte Wohnbauflächenbedarf von 271 Hektar vergrößert sich durch die Möglichkeit, die Potenzialbereiche bis zum Dreifachen zu erhöhen, auf das exorbitante Volumen von 807 Hektar.
Auch hier appelliert die Bezirksregierung an den „guten Willen“ der einzelnen Kommunen, von der vollständigen Ausschöpfung der de facto als Angebot zur „Flächenverschwendung“ gemachten Möglichkeit abzusehen.[15]
Möglichkeiten zur Flächenreduzierung bleiben ungenutzt
Statt bei stagnierender bzw. zukünftig stark rückläufiger Bevölkerungsentwicklung die im Kreis Warendorf in erheblichem Umfang vorhandenen Nachverdichtungspotenziale zu nutzen, soll stattdessen der bereits jetzt vorhandene rechnerische Wohnungsüberhang durch die Schaffung tausender neuer Wohnungen auf der „grünen Wiese“ erhöht werden. Die dafür durch die Änderung des Regionalplans Münsterland ausgewiesenen „Siedlungsflächenpotenzialbereiche“ stellen eine Offensive für einen Flächenverbrauch in einem rekordverdächtigen Ausmaß dar.
Die vorhanden Möglichkeiten, mit Hilfe des Regionalplans im Hinblick auf Klima- und Naturschutz zur Reduzierung des Flächenverbrauchs beizutragen, bleiben in eklatanter Weise ungenutzt. Der vorliegende Entwurf des Regionalplans Münsterland wird dem Anspruch einer nachhaltigen und flächensparenden Siedlungsentwicklung in keiner Weise gerecht.
[1] Bezirksregierung Münster (Regionalplanungsbehörde): Sitzungsvorlage 35/2022 zur Sitzung des Regionalrats am 12. Dezember 2022, Seite 4.
[2] Bezirksregierung Münster: Regionalplan Münsterland, Entwurf (Stand Dezember 2022), Anlage III.“: Flächenbedarfe für Wohnen und Wirtschaft bis 2045, Seite 26.
[3] Anmerkungen zu Tabelle 1: Die Daten zur Bevölkerung am 01.01.2021 und 01.01.2045 wurden entnommen aus: Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW): Bevölkerungsentwicklung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2021 bis 2050, Seite 54 bis 57.
[4] Anmerkungen zu Tabelle 2: Die Daten zur Entwicklung der Privathaushalte wurden entnommen aus: Anlage III.2 zum Entwurf des Regionalplans, Seite 40.
[5] Vgl. Wolk, Alfred: IW-Studie, Im Kreis Warendorf wird zu viel gebaut. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/lexikon/iw-studie/
[6] Anmerkung: Spätestens zum Jahr 2050 soll nach der Ressourcenstrategie der Europäischen Union und dem Klimaschutzplan der Bundesregierung der Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft (Netto-Null-Ziel) geschafft werden.
[7] Bezirksregierung Münster (Regionalplanungsbehörde): Sitzungsvorlage 35/2022 zur Sitzung des Regionalrats am 12. Dezember 2022, Seite 4.
[8] Vgl. Wolk, Alfred: Entfesselungspaket II, Landesregierung völlig mutlos. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/entfesselungspaket-ii-landesregierung-voellig-mutlos/
[9] Vgl. Anlage III/1 zum Entwurf des Regionalplans, Seite 2.
[10] Anmerkung zu Tabelle 3: Die Daten zur Ermittlung des Wohnungsbedarfs wurden entnommen aus: Anlage III.2 zum Entwurf des Regionalplans, Seite 41.
[11] Ebenda, Seite 28.
[12] Anmerkung:
Die Daten in der Spalte „Bedarf nach der modifizierten Scheitelpunktvariante“ wurden entnommen aus: Anlage III.2 zum Entwurf des Regionalplans, Seite 42.
Die Daten in der Spalte „ASB-P“ wurden entnommen aus: Dokumentationsbögen ASB – P im Kreis Warendorf, Anlage zum Entwurf des Regionalplans.
[13] Vgl. Anlage III/1 zum Entwurf des Regionalplans, Seite 5.
[14] Vgl. ebenda, Seite 18.
[15] Vgl. ebenda.