Politische Kultur in Everswinkel verbesserungsbedürftig

„Die kommunale Politik ist die Keimzelle und die Schule der Demokratie.“ Dieser vielzitierte Satz hat dann seine Richtigkeit, wenn dem politisch engagierten Bürger direkt vor Ort die umfassende Möglichkeit zur aktiven und verantwortlichen Mitgestaltung geboten wird.

Demokratie, die sich dem vorstehenden Anspruch verpflichtet fühlt, setzt Transparenz, Partizipation und Rechtsstaatlichkeit voraus. Was aber, wenn diese Voraussetzungen vernachlässigt werden?

Was lernen vor allem politisch interessierte junge Menschen, wenn der Bürgermeister ihrer Kommune Entscheidungen trifft, von der die gesamte Bevölkerung eines Dorfes langfristig betroffen ist, ohne dass die Öffentlichkeit beteiligt wird und ohne dass der notwendige Beschluss des Gemeinderates herbeigeführt wird?

Zumal es sich um eine Entscheidung handelt, bei der die  ökonomischen Interessen einiger weniger befriedigt werden, die Mehrheit der Dorfbewohner aber eine Verschlechterung der Lebensqualität in Kauf nehmen muss und für die nachfolgenden Generationen die Lebenschancen sogar verringert werden.

Missachtung der Gemeindeordnung

Die vom Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel quasi im „stillen Kämmerlein“ getroffene Entscheidung, im Rahmen der aktuellen Fortschreibung des Regionalplans den Ortsteil Alverskirchen von einer raumordnerischen „Freifläche“ in eine „Siedlungsfläche“ umzuwandeln, widerspricht sowohl den oben skizzierten Mindestansprüchen an demokratische Verfahrensabläufe, als auch den Bestimmungen der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen.

§ 41 der Gemeindeordnung NRW regelt die Zuständigkeit des Rates. Danach hat der Gemeinderat über „die Festlegung strategischer Ziele unter Berücksichtigung der Ressourcen“ zu entscheiden.

Bei dem vom Bürgermeister gestellten Antrag, den bisherigen Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen im Rahmen der Änderung des Regionalplans zukünftig als Siedlungsbereich zu deklarieren, handelt es sich keineswegs um ein Geschäft der laufenden Verwaltung, sondern um ein „strategisches Ziel“, mit dem die Schutzfunktion zum Erhalt des dörflichen Charakters Alverskirchens aufgegeben werden soll.

Mit der eigenmächtigen Entscheidung, eine Änderung der raumordnerischen Zuordnung Alverskirchens im Regionalplan zu beantragen, hat der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel gegen die eindeutigen Regelungen des § 41 der Gemeindeordnung verstoßen, da er den Gemeinderat weder informiert, noch einen Beschluss herbeigeführt hat.

Während der Bürgermeister der Gemeinde Everwinkel glaubt, bei der Zukunftsgestaltung des Ortsteils Alverskirchen auf die Mitwirkung der Kommunalpolitiker und der Bürger verzichten zu können, hat der Bürgermeister der Stadt Tecklenburg bei der Entscheidung, den bisherigen Eigenentwicklungsortsteil Ledde zukünftig als Siedlungsfläche auszuweisen, entsprechend der Gemeindeordnung unter Beteiligung der Öffentlichkeit einen Beschluss des Gemeinderates herbeigeführt.[1]

Gemeinderat entmachtet

Der Everswinkeler Bürgermeister hat damit dem Rat seine ureigene Funktion, über die Zukunftsgestaltung der Gemeinde zu entscheiden, entzogen. Diese Vorgehensweise lässt sowohl ein merkwürdiges Demokratieverständnis des Everswinkeler Bürgermeisters, als auch mangelndes Vertrauen in die Mündigkeit der Gemeinderatsmitglieder sowie der Everswinkeler und Alverskirchener Bürger erkennen.

Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, weshalb die Mitglieder des Gemeinderates sich entmündigen lassen. Nostalgische Denkfaulheit? Kumpanei mit dem Bürgermeister? Überforderung als Feierabendpolitiker? Egal welcher Grund hier den Ausschlag gegeben hat, die Gemeinderatsmitglieder entziehen sich mit dem Verzicht auf ihre Entscheidungskompetenz ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern, die sie gewählt haben und für deren Belange sie sich einsetzen sollen.

Aktive Mitwirkung des Gemeinderates erforderlich

Politik im parlamentarischen Verfahren besteht darin – so hat es der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle einmal ausgedrückt –, dass an einem von allen Bürgerinnen und Bürgern beobachtbaren Ort, in diesem Fall dem Gemeinderat, kontinuierlich Kompromisse ausgehandelt und öffentlich vermittelt werden müssen. Der Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch hat diese Staatsform als Verhandlungsdemokratie bezeichnet.

Eine funktionierende Demokratie lebt von der aktiven Mitwirkung des Gemeinderates und der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Wenn allerdings bei einer so zukunftsweisenden Entscheidung wie der Ausweisung des Ortsteils Alverskirchen als Siedlungsfläche der Gemeinderat und die Bürgerinnen und Bürger überflüssig werden, kann von „Verhandlungsdemokratie“ wahrlich keine Rede sein. Hier trifft dann eher der Begriff „Zuschauerdemokratie“ zu, in der eine passive Öffentlichkeit Zeuge einer raffinierten Politik-Show wird, bei der die Zuschauer in den passenden Momenten lediglich applaudieren sollen.

Kommunalaufsicht für Kontrolle zuständig

Wenn auch in der Gemeinde Everswinkel in Zukunft der eingangs zitierte Satz „Kommunalpolitik ist die Schule der Demokratie“ Gültigkeit haben soll, müssen Transparenz, Partizipation und Rechtsstaatlickeit als Leitlinien kommunaler Demokratie möglichst rasch Einzug in den Everswinekeler Gemeinderat halten.

Hierzu wäre es vor allem erforderlich, dass die Kommunalaufsicht, im vorliegenden Fall der Landrat des Kreises Warendorf, den eigenmächtig gefassten Beschluss des Bürgermeisters der Gemeinde Everswinkel beanstandet. Die Kontrolle der Einhaltung rechtlicher Grundlagen ist im öffentlichen Interesse die Pflicht der Kommunalaufsicht. Allerdings, das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt, bedeutet kommunale Aufsicht häufig nichts anderes als kommunale Nachsicht.

Mehr Demokratie wagen – auch in Everswinkel

Demokratie beginnt mit dem öffentlichen Gespräch.[2] Ein solches Gespräch sollte der Bürgermeister sowohl mit den Bürgern als auch mit den Kommunalpolitikern suchen, um zu klären, ob das Dorf Alverskirchen sich zukünftig organisch weiterentwickeln oder durch die Ausweisung als regionalplanerische Siedlungsfläche aus ökonomischen Interessen dem „freien Spiel“ marktwirtschaftlicher Kräfte überlassen werden soll.

Letztlich geht es um nichts anderes als um die Beantwortung der nachfolgenden Fragen:

    • Wollen wir den Ausverkauf der Natur forcieren, um heute „Kasse“ zu machen?
    • Oder wollen wir die dörfliche Struktur und die wunderschöne Münsterländer Parklandschaft als Lebensgrundlage für die künftigen Generationen bewahren?

Gerade bei einer solch fundamentalen Entscheidung sollte mehr Demokratie gewagt werden. Durch ein kluges Miteinander zwischen repräsentativer Politik und Bürgerengagement kann auch in Everswinkel die gemeinsame Basis gelegt werden, um als „Schule der Demokratie“ wahrgenommen zu werden.

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[1] Siehe Stadt Tecklenburg, Beschlussvorlage 17/2022 zur Sitzung des Stadtrates am 15. Februar 2022.
[2] Wiebicke, Jürgen: Zehn Regeln für Demokratie-Retter, 7. Auflage 2020, Seite 10.