Juristische Auseinandersetzung: Klare Aussagen vom Oberverwaltungs- und Bundesverwaltungsgericht

Die von den Bürgern seit Beginn des Bauleitverfahrens vorgetragenen Argumente gegen die Überdimensionierung des Baugebietes „Königskamp“ und den sich daraus ergebenden soziokulturellen und ökologischen Auswirkungen wurden zu keinem Zeitpunkt von der Verwaltung und der Mehrheit der Kommunalpolitiker beachtet.

Zwar wurde von der Verwaltung immer wieder betont, dass Alverskirchen im Regionalplan nicht als Siedlungsfläche sondern als Freiraum dargestellt sei. Aber auch in der Vergangenheit sei die stets auf  Wachstum – und damit auf Flächenverbrauch und Naturzerstörung – orientierte „Kirchturmpolitik“ von der Bezirksregierung geduldet worden.

Welchen Wert haben eigentlich raumordnerische Zielsetzungen, die zum Wohle der Allgemeinheit und zum Schutz der Natur im Landesentwicklungsplan NRW und im Regionalplan Münsterland verankert sind, wenn Kommunen und Bezirksregierung ihnen mit einer strukturellen Respektlosigkeit begegnen?

Um diese Frage zu klären, wurden gegen die überdimensionierte Ausweisung des Baugebietes „Königskamp“ beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Januar 2011 zwei  Normenkontrollklagen eingereicht.

1. Normenkontrollantrag mit Eilantrag beim Oberverwaltungsgericht NRW 

Da vom Einreichen der Klage bis zur Entscheidung durch das Oberveraltungsgericht in der Regel ein bis zwei Jahre vergehen, wurden gleichzeitig mit den Normenkontrollanträgen auch zwei Eilanträge gestellt.

Mit den Eilanträgen sollte die sofortige Außervollzugsetzung des Bebauungsplanes erreicht werden, um die Zerstörung der ökologisch wertvollen Kleingartenanlage im Baugebiet „Königskamp“ zu verhindern.

In einem Eilverfahren beschränken sich die Richter auf eine überschlägige Prüfung des Falles und konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Frage, ob eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile für die Kläger dringend geboten ist.

Bei der Prüfung der Eilanträge kamen die Richter des Oberverwaltungsgerichts zu dem Ergebnis, dass der bloße Vollzug des Bebauungsplans keinen schweren Nachteil für die Kläger darstellt. Der Eilantrag wurde daher mit Beschluss vom 11. März 2011 vom OVG abgelehnt.

In der schriftlichen Begründung der Ablehnung des Eilantrages heißt es:
„Dass die Umsetzung des Bebauungsplanes den Antragsteller abgesehen von dem hinzutretenden Verkehrslärm schwer beeinträchtigen könnte, ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller sich auf eine Unvereinbarkeit der Bauleitplanung mit den Zielen der Landesplanung … beruft, ist derzeit nichts dafür ersichtlich, dass ihm bei Vorliegen dieser Rechtsverstöße schwerwiegende Beeinträchtigungen drohen könnten.  

Es kann offen bleiben, ob der Bebauungsplan wegen der vom Antragsteller gerügten materiellen Mängel offensichtlich unwirksam ist.“ [1]

2. Ablehnung der Normenkontrollanträge

Die Klärung der Frage, ob der Bebauungsplan „Königskamp“ mit den Zielen der Landesplanung vereinbart ist, sollte in der am 22. November 2012 vor dem Oberverwaltungsgericht angesetzten Hauptverhandlung erfolgen. Zu der Beantwortung dieser Frage kam es in dieser Verhandlung allerdings nicht.

Die Richter des Oberverwaltungsgerichts sahen nur ein als „geringfügig“ einzustufendes schutzwürdiges Interesse der Kläger. Die Antragsteller seien daher nicht antragsbefugt und der Normenkontrollantrag damit unzulässig. [2] Ein Urteil über die gerügten materiell rechtlichen Mängel wurde nicht getroffen.

Eine Revision gegen die von OVG getroffene Entscheidung wurde nicht zugelassen. [3]

3. Berufungsverfahren (I) vor dem Bundesverwaltungsgericht 

Gegen die Nichtzulassung der Revision wurde im Januar 2013 vom Kläger Alfred Wolk Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2013 gab das BVG der Beschwerde statt. Mit dem Beschluss des BVG wurde das Urteil des OVG NW vom 22. November 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Oberverwaltungsgericht in Münster zurückverwiesen. [4]

Bei der Auseinandersetzung mit der Beschwerde stellte das BVG einen Verfahrensfehler fest, der sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt haben könnte. „Da die Antragsbefugnis des Antragstellers zu bejahen ist und auch im Übrigen keine Einwände gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrages erkennbar sind, ist nicht auszuschließen, dass das Oberverwaltungsgericht ohne Verfahrensfehler zu einem andren Ergebnis gekommen wäre, weil im Rahmen der Begründetheitsprüfung jedenfalls auch über die vom Antragsteller ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung geltend gemachten objektiven Rechtsverstöße hätte entscheiden müssen.

4. OVG-Urteil vom 18. Oktober 2013 

Über die vom Antragsteller angemahnten objektiven Rechtsverstöße wurde am 18. Oktober 2013 in einer erneuten Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden.  

Gleich zu Beginn der Verhandlung stellte der Vorsitzende Richter fest: „Es geht heute nicht um die Interessen des Herrn Wolk, es geht um den Regionalplan.“ 

Mit Urteil vom 18. Oktober 2013 wurde der Bebauungsplan Nr. 52 „Königskamp“ aufgehoben, da er gegen die im Landesentwicklungsplan NRW und im Regionalplan Münsterland festgelegten Ziele der Raumordnung verstößt.

Dem verständlichen Wunsch des Rates die im Ortsteil Alverskirchen vorhandene Infrastruktur durch eine Vergrößerung der ansässigen Bevölkerung zu erhalten, zu stärken und zu verbessern, und dem damit verbundenen Wunsch, attraktive Baugrundstücke vorzuhalten, um den Zuzug Ortsfremder zu befördern, stehen diese Ziele entgegen.  

Der Ortsteil Alverskirchen ist insoweit kein Sonderfall. Vielmehr dürften die Überlegungen der Antragsgegnerin auf viele im Geltungsbereich des Regionalplans gelegene Gemeinden und ihre im Freiraum gelegenen Ortsteile zutreffen.  

Ein gegebenenfalls konkurrierende flächenmäßige Erweiterung dieser Ortsteile mit dem vorrangigen Ziel, dem Trend des Bevölkerungsrückganges entgegenzuwirken, würde – zumindest in ihrer gedachten Häufig – die übergeordnete Regionalplanung, die mit der gewollten Siedlungskonzentration nicht zuletzt dem fortschreitenden Fortschreiten Flächenverbrauch entgegentreten und dem Umweltgedanken Rechnung tragen will, zwangsläufig scheitern lassen. [5] 

Mit anderen Worten: Wenn sich alle Gemeinden so verhalten wie die Gemeinde Everswinkel, sind die gesellschaftlich angestrebten Ziele zum Schutze der Natur und zur Reduzierung des Flächenverbrauchs zum Scheitern verurteilt.

5. Berufungsverfahren (II) vor dem Bundesverwaltungsgericht  

Gegen das Urteil des OVG NW legte die Gemeinde Everswinkel beim Bundesverwaltungsgericht Berufung ein, mit dem Ziel, ein Revisionsverfahren durchzuführen.

Mit Beschluss vom 09. April 2014 kam das BVG zu dem Ergebnis, dass „eine inhaltliche Kritik an der rechtlichen Würdigung des Oberverwaltungsgerichts nicht ausreicht“, um eine Revision des Urteils zu erreichen. [6]

Das BVG wies auf die umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung hin, mit der hinreichend geklärt ist, dass die im Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbriefte kommunale Planungshoheit der Bindung der gemeindlichen Bauleitplanung an Ziele der Raumordnung nicht prinzipiell entgegen steht. [7]

Mit andern Worten: Auch die Gemeinde Everswinkel hat sich in Zukunft bei der Ausweisung zusätzlicher Siedlungsfläche an die Ziele der Raumordnung zu halten.

Durch den Beschluss des BVG wurde das OVG-Urteil vom 18. Oktober 2013 rechtskräftig.

Links:
OVG Beschluss vom 11.03.2011
OVG-Urteil vom 22.11.2012
BVerwG Beschluss vom 29.03.2013
OVG-Urteil vom 18.10.2013
BVerwG Beschluss vom 09.04.2014

[1] OVG NW, 10 B 79/11.NE, Beschluss vom 11. März 2011, Seite 5.
[2] OVG NW, 10 D 4/11.NE, Urteil vom 22. November 2012, Seite 4.
[3] OVG NW, 10 D 4/11.NE, Urteil vom 22. November 2012, Seite 15.
[4] BVG 4 BN 13.13, Beschluss vom 29. Juli 2013, Seite 2.
[5] OVG NW, 10 D 4/11.NE, Urteil vom 18. Oktober 2013, Seite 21.
[6] BVerwG, 4 BN 3.14, Beschluss vom 09. April 2014, Seite 4.
[7] BVerwG, 4 BN 3.14, Beschluss vom 09. April 2014, Seite 5 f.