Dreist gewinnt: Kommunalwahlprüfung in Everswinkel

Wenn nur eine einzelne Wählerstimme darüber entscheidet, ob die CDU im Rat der Gemeinde Everswinkel einen zusätzlichen Sitz und damit die absolute Mehrheit erhält, ist es sicherlich nicht abwegig, dass dieses Ergebnis durch einen simplen Zählfehler am Wahlabend zustande gekommen sein könnte.

Gegen die Gültigkeit des Wahlergebnisses wurden beim Everswinkeler Wahlleiter vier Einsprüche eingereicht, die Hinweise auf eine Reihe von Wahlfehlern geben. Die Einsprüche lassen erkennen, dass die Möglichkeit der Einflussnahme durch die beanstandeten Unstimmigkeiten auf das denkbar knappe Wahlergebnis bei der Kommunalwahl in Everswinkel gegeben ist.

Kommunales Wahlprüfungsverfahren

Die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Wahl obliegt auf kommunaler Ebene dem neu gewählten Gemeinderat, der nach Vorprüfung durch einen hierfür gebildeten Wahlprüfungsausschuss über eventuell eingelegte Einsprüche und über die Gültigkeit der Wahl entscheidet.[1] Das kommunale Wahlprüfungsverfahren ist ausschließlich dazu bestimmt, die richtige, d. h. dem Wählerwillen entsprechende Zusammensetzung des Gemeinderates zu gewährleisten.

Für die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl und damit für den Erfolg eventueller Einsprüche ist entscheidend, ob ein Wahlfehler unterlaufen ist und ob dieser Fehler auf den Ausgang der Wahl Einfluss gehabt haben kann.[2] Nur wenn sicher ist oder wenigstens die Möglichkeit besteht, dass der Wahlausgang ohne den Fehler ein anderer gewesen wäre, haben Wahlfehler also Einfluss auf die Gültigkeit der Wahl.

Im Rahmen der Wahlprüfung hat der Rat nach § 40 Abs. 1 KWahlG „über die Einsprüche sowie über die Gültigkeit der Wahl von Amts wegen” zu entscheiden. Wie das Wort „sowie” zeigt, ist der Prüfungsumfang keineswegs auf die durch Einspruch gerügten Fehler beschränkt. Der Rat hat unabhängig von Einsprüchen die Gültigkeit der Wahl zu prüfen und darüber zu entscheiden.

Kommunalwahl 2004: Nachzählung bestätigt Zählfehler

Bereits nach der Kommunalwahl 2004 musste in Everswinkel darüber befunden werden, ob eine Nachzählung der für die Gemeinderatswahl abgegebenen Stimmen erfolgt. Auch damals hatte nur eine einzige Wählerstimme mandatsrelevante Bedeutung. Betroffen war dabei aber nicht die CDU. Es ging vielmehr um die Frage, ob die FDP mit einer Stimme Vorsprung einen zusätzlichen Sitz im Gemeinderat zu Lasten der SPD bekommt.

2004 konnte sich die Wahlleiterin vorstellen, dass es zu Zählfehlern gekommen sei, „denn es war ja nach Landrat, Kreistag und Bürgermeister schon die vierte Wahl, die ausgezählt wurde.“[3] Der seinerzeitige CDU-Fraktionschef „sah aufgrund der geprüften Rechtslage und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei derart knappen Wahlergebnissen die Verpflichtung, nachzuzählen“.[4] In Leserbriefen wurde eine Nachzählung als „Frage der politischen Fairness“ angemahnt.[5] Sogar der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen teilte mit, dass eine Nachzählung beschlossen werden darf.[6]

Die aufgrund des mehrheitlich gefassten Beschlusses durchgeführte Nachzählung ergab, dass in drei Wahlbezirken falsch gezählt worden war. Insgesamt wurden vier Zählfehler festgestellt, die eine Korrektur des Wahlergebnisses erforderten. „Das Ergebnis zeigt, dass Menschen Fehler machen, auch beim Zählen. Das ist nicht nur bei dieser Wahl so gewesen“, kommentierte der Redakteur der Westfälischen Nachrichten.[7] Das Nachzählergebnis sei im Ergebnis wohl zu Recht „als Sieg des Demokratieverständnisses und Durchsetzung des Wählerwillens“ zu feiern.[8]

Kommunalwahl 2020: Antrag auf Nachzählung abgelehnt

Auch nach der am 13. September 2020 durchgeführten Kommunalwahl ist aufgrund des knappen Wahlergebnisses in Everswinkel darüber zu entscheiden, ob eine Nachzählung angeordnet wird. Durch eine Nachzählung, könnten unter Umständen wie bereits 2004 Zählfehler festgestellt oder aber das Wahlergebnis bestätigt werden. Mögliche Zählfehler würden gegebenenfalls zum Verlust eines Mandats und damit zum Verlust der absoluten Mehrheit der CDU im Everswinkeler Gemeinderat führen.

Während im Rahmen der Kommunalwahl 2004 die Wahlleiterin nach Bekanntwerden erster Unstimmigkeiten von Amts wegen aktiv wurde und unmittelbar Maßnahmen zur Vorprüfung ergriff, sieht der Wahlleiter im aktuellen Fall offenbar keine Notwendigkeit von Amts wegen tätig zu werden. So wurde er nur wenige Tage nach der Wahl von dem stellvertretenden Wahlvorsteher eines Wahlbezirks dezidiert auf die fehlerhafte Auszählung der Briefwahlunterlagen hingewiesen. Er habe diese Hinweise aber nicht als Einspruch gewertet ist die lakonische Anmerkung des Wahlleiters zu der Selbstanklage des ehrenamtlichen Helfers.[9]

Auch die bei der Einsichtnahme der Wahlniederschriften von den Vertretern der FDP und Bündnis 90/Die Grünen entdeckten Abweichungen zwischen den abgegebenen Stimmzetteln und der Anzahl der Wähler, handelt es sich nach Ansicht der Verwaltung um Unstimmigkeiten, die im Abwägungsprozess nicht berücksichtigt werden könnten, da die Fehler erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gerügt worden seien.[10] Eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Rechtsauffassung.

Sie macht zunächst einmal deutlich, dass die Wahlleitung offenbar in keiner Weise selbst aktiv geworden ist, um die Wahlniederschriften auf ihre Korrektheit zu überprüfen. Wären die Wahlniederschriften ordnungsgemäß kontrolliert worden, hätten die nun monierten Unzulänglichkeiten der Wahlleitung unmittelbar nach der Wahl auffallen müssen. Die Wahlleitung hat es ganz offensichtlich versäumt, die „Hausaufgaben“ zu machen.

Vollkommen unverständlich ist, dass die Wahlleitung dann auch noch glaubt, die nun entdeckten Differenzen in den Wahlniederschriften mit der Begründung eines Fristablaufs unberücksichtigt lassen zu können.

Fakt ist, dass die Wahlmängel bekannt sind. Aus den Bestimmungen des Nordrhein-Westfälischen Kommunalwahlgesetzes folgt, dass die Wahlprüfungsorgane auch solche Wahlmängel zu berücksichtigen haben, die ihr ohne Zutun eines Einspruchsführers bekannt geworden sind.[11] Diese Tatsache wird bei der Überprüfung des Kommunalwahlergebnisses in Everswinkel scheinbar geflissentlich ignoriert.

Aufgrund der form- und fristgerecht eingereichten Einsprüche sah sich der Wahlleiter lediglich veranlasst, im Wahlprüfungsausschuss zu bestätigen, dass es zumindest im Wahlbezirk 1001 und 1009 zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die mit den eingereichten Einsprüchen belegt wurden.[12] Trotz der vom Wahlleiter als substantiiert und konkret bezeichneten Wahlfehler wurde der von Bündnis 90/Die Grünen eingereichte Antrag auf Überprüfung des Wahlergebnisses durch eine Nachzählung von den mit absoluter Mehrheit im Wahlprüfungsausschuss vertretenen CDU-Vertretern abgelehnt.[13]

Politiker entscheiden „in eigener Sache“

Da die Kommunalpolitiker für die Prüfung ihrer eigenen Wahl zuständig sind, haben sie quasi „in eigener Sache“ entschieden. Dass bei dieser Entscheidung parteipolitische Erwägungen in Form des Wunsches, den mit der Wahl erlangten Besitzstand zu wahren, ein Rolle gespielt haben könnten, ist zumindest naheliegend.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ lautet eine Binsenweisheit für jede Demokratie. In Everswinkel aber gilt für Verwaltung und Ratsmehrheit anscheinend wohl eher das Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle aber schädlich“. Ein solches Verhalten lässt den Aufklärungswillen vermissen, der zur Wahrung der Rechtsfriedens und zum Erhalt der Demokratie erforderlich ist.

Es ist zu hoffen, dass die vom Gemeinderat zu treffende endgültige Entscheidung über die Frage, ob aufgrund der aufgetretenen Unregelmäßigkeiten bei der Kommunalwahl eine Nachzählung stattfindet, losgelöst von parteipolitischen Interessen erfolgt. Auch in Everswinkel sollte über die Zusammensetzung des Rates das fehlerfrei ermittelte Wahlergebnis entscheiden und damit der tatsächlich Wille der Wählerinnen und Wähler umgesetzt werden. Eine auf Basis eines möglichen Zählfehlers errungene absolute Mehrheit entspricht in keiner Weise der Sinnhaftigkeit der parlamentarischen Demokratie.

weiterführende Links:
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Wahlprüfungsausschuss
Beitrag: Einspruch gegen das Kommunalwahlergebnis in Everswinkel
Beitrag: Nachzählung ist zwingend geboten

 

[1] § 40 Abs. 1 KWahlG NRW.
[2] Ebenda.
[3] Westfälische Nachrichten vom 11 Dezember 2004: SPD am Ziel, Stimme gefunden.
[4] Westfälische Nachrichten vom 08. November 2004: Freitag ist Zähltag.
[5] Westfälische Nachrichten vom 07. Oktober 2004: Nachzählen eine Frage politischer Fairness.
[6] Ebenda.
[7] Westfälische Nachrichten vom 11. Dezember 2004: Sieg der Hartnäckigkeit.
[8] Ebenda.
[9] Gemeinde Everswinkel: Vorlage Nr. 081/2020 zur Sitzung des Wahlprüfungsausschusses am 18. November 2020, Seite 2.
[10] Westfälische Nachrichten vom 20. November 2020: Ringen um die Deutungshoheit.
[11] Vgl. Kommentierung von Frank Bätge zu § 40 KWahlG NRW: Wahlen und Abstimmungen in Nordrhein-Westfalen.
[12] Gemeinde Everswinkel: Vorlage Nr. 081/2020 zur Sitzung des Wahlprüfungsausschusses am 18. November 2020, Seite 2.
[13] Anmerkung: In der Sitzung des Wahlprüfungsausschusses der Gemeinde Everswinkel am 18. November 2020 wurde der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit 4:3 Stimmen abgelehnt.