„Wir haben nicht aus eigenen Interessen gehandelt, sondern im Interesse aller Alverskirchener“.[1] Mit dieser irrwitzigen Begründung rechtfertigte der Fraktionsvorsitzende der Everswinkeler FDP die seinerzeitige Zustimmung der Mehrheit der Everswinkeler Kommunalpolitiker zu dem rechtswidrigen Bebauungsplan Nr 52 „Königskamp“.
Der Bebauungsplan war im Oktober 2013 vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen aufgehoben worden, da Verwaltung und Gemeinderat in eklatanter Weise gegen die Ziele der Raumordnung verstoßen und einen Beschluss zum Schaden der Natur und damit zum Schaden der Alverskirchener Bevölkerung herbeigeführt hatten.[2]
Diffuses Rechtsverständnis
Wie abstrus der oben zitierte Rechtfertigungsversuch ist, wird beim Lesen der Verpflichtungsformel deutlich, mit der jeder Kommunalpolitiker laut Gemeindeordnung feierlich vom Bürgermeister in sein Amt eingeführt wird: „Ich verpflichte mich, dass ich meine Aufgaben nach besten Wissen und Können wahrnehmen, das Grundgesetz, die Verfassung des Landes und die Gesetze beachten und meine Pflichten zum Wohle der Gemeinde erfüllen werde.“[3]
Auch alle Mitglieder des Gemeinderates der Gemeinde Everswinkel haben das Versprechen abgelegt, sich an die Gesetze zu halten und zum Wohle der Gemeinde und somit zum Wohle der Bürger zu handeln.
In der Gemeindeordnung findet sich kein Ausnahmetatbestand, der es rechtfertigt, von diesem schriftlich verbrieften Versprechen abzuweichen. Die Begründung der Everswinkeler Kommunalpolitiker, im „Interesse aller Alverskirchener“ gegen geltendes Recht zu verstoßen, zeugt von einem mehr als diffusen Rechtsverständnis.
Beträchtlicher Finanz- und Imageschaden
Darüber hinaus haben sich beträchtliche Teile der Alverskirchener Bevölkerung gegen die Ausweisung des überdimensionierten Baugebietes „Königskamp“ ausgesprochen. Eine umfangreiche Unterschriftenliste, zahlreiche Einwendungen während des Bauleitverfahrens, anhaltende Unmutsäußerungen in Form von Leserbriefen und nicht zuletzt die Klage vor dem Oberwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen zeugen davon, dass die Aussage, „im Interesse aller Alverskirchener“ gehandelt zu haben, ein gänzlich missglückter Erklärungsversuch ist. Die Aussage dient lediglich dazu, vom Fehlverhalten der Verwaltung und der Kommunalpolitiker abzulenken.
Zwar stellt der Bürgermeister als „faktische Auswirkung“ der Aufhebung des Bebauungsplans „Königskamp“ infolge des rechtwidrigen Beschlusses des Gemeinderates fest, „dass die Stimmung sehr gedrückt ist, dass das den Menschen wie ein Mühlstein um den Hals hängt und eine gesamte Ortschaft lähmt“.[4]
Eine Entschuldigung gegenüber der Bevölkerung für den angerichteten Finanz- und Imageschaden ist allerdings bis heute weder durch den Bürgermeister, noch durch einen der beteiligten Kommunalpolitiker erfolgt.
Vergangenheitsverschleierung statt Vergangenheitsbewältigung
Der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker wollen ihrem Motto „Erfolg braucht Fläche“ treu bleiben und sehen offenbar nach wie vor ihre einzige Existenzberechtigung in der permanenten Ausweisung von Baugebieten auf der „grünen Wiese“. Der für die nachfolgenden Generationen entstehende Schaden wird dabei vollkommen ausgeblendet.
Wirklichkeitsverweigerung gegenüber den auch im Münsterland längst spürbaren Folgen der demografischen Entwicklung und den Folgen der permanenten Flächeninanspruchnahme für die Umwelt, kennzeichnen weiterhin das rückwärtsgewandte kommunalpolitische Verhalten.
Die kollektive Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur und damit gegenüber den eigenen Bürgern wird durch das gebetsmühlenartige Wiederholen vermeintlich positiv besetzter „Werbebotschaften“ zu verschleiern versucht. Der Slogan „Weg von Ökologie, hin zu Ökonomie“ oder die Forderung nach der raschen Verabschiedung sogenannter „Entfesselungspakete“ dürften allerdings von immer mehr Menschen als Affront gegen den Natur- und Klimaschutz entlarvt werden.
Statt die „Werbetrommel“ für die zukünftig unvermeidliche Bewusstseinsänderung im Umgang mit der Flächeninanspruchnahme zu rühren, setzen Bürgermeister und Kommunalpolitiker in Everswinkel auf die Hoffnung, dass die in den Raumordnungsplänen verankerten Bestimmungen gelockert werden und der Raubbau an der Natur dann ungenierter als bisher fortgesetzt werden kann.
„Wir machen den Weg frei, ohne Wenn und Aber“[5]
„Wir müssen weiter dran bleiben, mehr Baugebiete zu schaffen“ und „…deutlich machen, dass es nichts Verderbliches ist, Leute aus anderen Gemeinden abzuwerben.“[6] „Ich werde alles Mögliche tun, damit auch in Zukunft Alverskirchener, Everswinkeler, Telgter, Münsteraner – und wo sie auch herkommen – hier ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen können.“[7]
Mit derartigen effektheischenden Sätzen versucht der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel zu verdeutlichen, dass er nicht gewillt ist, die im Landesentwicklungsplan und im Regionalplan nach wie vor unverändert verankerten Ziele der Raumordnung zu beachten. Die im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen zur Aufhebung des Baugebiets „Königskamp“ von den Richtern aufs Schärfste kritisierte „Kirchturmpolitik“[8] soll im Ortsteil Alverskirchen nach dem Willen des Bürgermeisters und der Mehrheit der Kommunalpolitiker rigoros fortgesetzt werden.
Für das Baugebiet „Königskamp III“ soll daher der Gemeinderat möglichst rasch den Satzungsbeschluss fassen. Im Rahmen des Offenlegungsverfahrens seien zwar umfangreiche Stellungnahmen eingegangen[9], durch die wollen sich aber Verwaltung und Gemeinderat von ihrem Vorsatz, erneut Siedlungsfläche im naturnahen Freiraum in Anspruch zu nehmen, nicht abbringen lassen.
Die eingereichten Stellungnahmen seien mit „Fußnoten gespickt …, bei denen man wirklich ins Eingemachte gehen muss“[10] Mit anderen Worten: Aus den von den Bürgern im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung erhobenen Einwände ergeben sich offenbar eindeutige Hinweise, dass mit der Umsetzung des Planverfahrens ganz offensichtlich erneut gegen die Ziele der Raumordnung verstoßen und damit ein weiterer Rechtsbruch durch den Gemeinderat begangen würde.
Sinnhaftigkeit des Abwägungsprozess nicht erkannt
Nach den im Baugesetzbuch verankerten Vorschriften hat die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Ziel, das gemeindliche Abwägungsmaterial (§ 2 III BauGB) zu verbreitern (Informationsfunktion), die Öffentlichkeit an dem Planungsprozess zu beteiligen (demokratische Funktion) und ihre Einwirkungsmöglichkeiten zu verbessern (Rechtsschutzfunktion) sowie die Akzeptanz gemeindlicher Planungen zu erhöhen (Integrationsfunktion).
Da die Mitglieder der Gemeinderäte über die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgebrachten Anregungen entscheiden, hängt die Sinnhaftigkeit des Abwägungsprozesses sehr stark von deren Verständnis rechtsstaatlicher Grundsätze ab. Steht das Ergebnis bereits vor der Durchführung des Abwägungsprozesses fest, wird das Beteiligungsverfahren nicht nur zur Farce, sondern ist auch mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar.
Auch das Ziel, mit einem offenen Abwägungsprozess eine nachhaltige Entwicklung und ein hohes Umweltschutzniveau anzustreben, kann dann nicht erreicht werden.
Da der Bürgermeister bereits in der nächsten Gemeinderatssitzung einen Satzungsbeschluss herbeiführen will, sollen in dem dort stattfinden Abwägungsprozess die von den Bürgern im Offenlegungsverfahren fundiert vorgetragenen Argumente ganz offensichtlich weitgehend unberücksichtigt bleiben. Es soll scheinbar wieder auf die traditionelle Abwägungslehre der Marktfrau zurückgegriffen werden.
„Wegwägen“ der Argumente im Stile der Marktfrau
In der Vergangenheit war die Abwägung häufig geprägt vom Bild der Marktfrau. In diesem Bild fand der Aspekt der Nachhaltigkeit keine Berücksichtigung.
Die Marktfrau hatte ihre Ware, die Gewichte, eine Waage und ihren Daumen. Die Ware wurde auf die eine Waagschale gelegt, die Gewichte auf die andere. Wenn die Ware nicht schwer genug war, was nicht selten vorkam, und die Gewichte wie schweres Blei erschienen, setze die kluge Geschäftsfrau den Daumen ein und brachte die Waage trotz des Leichtgewichts ihrer Ware problemlos zum Ausgleich.[11]
So sollen gelegentlich auch Planungsentscheidungen zustande gekommen sein. Wenn die Planrechtfertigung nicht groß genug war, wurde noch etwas nachgelegt oder es wurden die entgegenstehenden Belange schlichtweg weg gewogen. Denn das Ergebnis stand in der Regel sowieso schon vorher fest. Die für das Projekt sprechenden Belange wurden bevorzugt behandelt, die Projekt widersprechenden Belange wurden zurückgestellt. „Wir müssen das nur noch im Gemeinderat abnicken lassen“, war da in der Vergangenheit ein geradezu geflügeltes Wort.[12]
Fortsetzung der Tradition des „Abnickens“ ?
Für Gemeinderäte, die sich dem Rechtsstaatsprinzip und dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtet fühlen, hat schlichtes „Wegwägen“ ausgedient.
Ob sich der Rat der Gemeinde Everswinkel dem Nachhaltigkeitsgedanken im Interesse der nachfolgenden Generationen verpflichtet fühlt oder weiter in der Tradition des „Abnickens“ verharrt und dabei erneut die eingangs zitierte Verpflichtungsformel außer Acht lässt , wird die Sitzung vor der Sommerpause zeigen.
Über die nachfolgenden Links können zwei der im Rahmen des Offenlegungsverfahrens „Königskamp III“ eingereichte Stellungnahmen eingesehen werden:
hier klicken: Stellungnahme 1
hier klicken: Stellungnahme 2
[1] Bericht in der Tageszeitung „Die Glocke“ vom 08. November 2013 über die gemeinsame Sitzung des Bezirks- und Planungsausschusses der Gemeinde Everswinkel: „Quo vadis, Königskamp?“
[2] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.10.2013, 10 D 4/11.
[3] Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen, § 67 Abs. 3.
[4] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung, Ausschussprotokoll 17/635 der Sitzung vom 15.05.2019, Seite 10.
Anmerkung: Der Bürgermeister der Gemeinde Everswinkel war als Vertreter einer kleinen Kommune, die über einen im Freiraum liegenden Ortsteil verfügt, vom Ausschuss eingeladen. Die Aussagen des Bürgermeisters sind im Wortlaut auf den Seiten 8 bis 12 und auf der Seite 33 im Protokoll wiedergegeben.
[5] Gemeinde Everswinkel, Niederschrift der Sitzung des Gemeinderates vom 25.06.2015, Seite 5: Aussage des Ratsmitglieds Folker (CDU) zum Verfahren Königskamp.
[6] Aussage von Sebastian Seidel in Westfälische Nachrichten, Artikel vom 22. März 2014: CDU-Bürgerforum: Wohnen und Leben im Mittelpunkt der Diskussion.
[7] Aussage von Bürgermeister Seidel in „Die Glocke“, Artikel vom 06. März 2018: „Gute Denkansätze hinterlassen Ratlosigkeit.“
Siehe hierzu auch Leserbrief von Alfred Wolk, in „Die Glocke“ vom 09. März 2018: „Siedlungsflächen werden rücksichtslos ausgewiesen“
[8] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.10.2013, 10 D 4/11, Seite 21.
Siehe auch die Ausführungen im Glossar zum Stichwort „Kirchturmpolitik“.
[9] Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschussprotokoll, ebenda, Seite 9.
[10] Ebenda, Seite 9.
[11] Vgl. Hoppenberg, Michael und de Witt, Siegfried: Handbuch des öffentlichen Baurechts, Randnummer 1081.
[12] Ebenda.