Die 12 zur Stadtregion Münster gehörenden Städte und Gemeinden wollen sich zukünftig stärker als bisher gemeinsam mit der Frage beschäftigen, wie die Wohnbaupolitik in den Kommunen an die Marktentwicklung angepasst werden kann.[1] Die Kommunalpolitiker wurden daher von den Bürgermeistern aufgefordert, gleichlautende Beschlüsse zur Verfolgung einer gemeinsamen Strategie zu fassen.[2]
Die Erarbeitung eines stadtregionalen Wohnbaulandprogramms setzt nach Ansicht der im Rat der Gemeinde Everswinkel vertretenen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein auf aktuellen Zahlen basierendes Datenfundament voraus. Nur durch die Analyse maßgeblicher Faktoren (z. B. Bevölkerungsentwicklung, Wohnungsentwicklung) kann der wohnungs- und baulandpolitische Handlungsbedarf ermittelt werden.
Vor dem Hintergrund der sich auch in der Stadtregion Münster abzeichnenden demografischen Veränderungen, die sich insbesondere in der aktuell von IT.NRW veröffentlichten Bevölkerungsvorausberechnung[3] wiederspiegeln, hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die nachfolgend wiedergegebene Stellungnahme zu der Beschlussvorlage „Entwicklungsorientierte Wohnungsmarktbeobachtung in der Stadtregion Münster“ in die kommunalpolitische Beratung eingebracht.
Stellungnahme der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Gemeinde Everswinkel
In den zurückliegenden 70 Jahren wurde in der Bundesrepublik mehr Fläche für Siedlungen verbraucht als in den 4.000 Jahren Siedlungsgeschichte davor. Die Entwicklung im Münsterland war insbesondere in den letzten Jahrzehnten dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund demografischer und gesellschaftlicher Veränderungen der Landschafts- und Flächenverbrauch stärker gestiegen ist als die Bevölkerung.
Die bereits seit einigen Jahren im Münsterland zu verzeichnende Abschwächung des Bevölkerungsanstiegs wird Infolge der seit Ende der 60iger Jahre unter dem Bestandserhaltungsniveau liegenden Geburtenrate zunehmend abgelöst durch einen kontinuierlichen Rückgang der Gesamtbevölkerung.
Die sich abzeichnenden und offensichtlich von vielen Kommunalpolitikern und Bürgermeistern als bedrohlich empfundenen demografischen Veränderungen haben in den vergangenen Jahren zu einer verschärften Konkurrenzsituation um die Ansiedlung von Wohnbevölkerung geführt. Die Folge des Überbietungswettbewerbs bei der Ausweisung von immer neuen Baugebieten am Ortsrand zur überwiegenden Bebauung mit Einfamilienhäusern ist eine stetig weiter voranschreitende Abkoppelung des Siedlungsflächenverbrauchs von der Bevölkerungsentwicklung.
Angebotsorientierte Baugebiete auf der „grünen Wiese“, die ausgewiesen werden, um sich einen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, führen zu dispersen Siedlungsstrukturen mit erheblichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen des Flächenverbrauchs.
Die von den 12 Kommunen der Stadtregion Münster mit dem vorliegenden Beschlussvorschlag angestrebte interkommunale Zusammenarbeit stellt einen möglichen Ansatz zur Beendigung des ruinösen Wettbewerbs um Einwohner dar.
Interkommunale Zusammenarbeit mit dem Ziel einer effizienten, ressourcenschonenden und klimaverträglichen Flächennutzung setzt für zukünftige Flächennutzungen ein zwischen den beteiligten Kommunen abgestimmtes Verhalten voraus. Nur wenn es gelingt, aus gemeindeübergreifender Sicht optimale Standorte zur bedarfsdeckenden Wohnraumversorgung zu realisieren, kann interkommunale Kooperation einen Beitrag zur Erreichung des bis 2050 angestrebten Ziels leisten, keine weiteren Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch zu nehmen.
Eine der Flächenreduzierung verpflichtete interkommunale Zusammenarbeit erfordert die Abkehr von dem bisher vielerorts praktizierten „Kirchturmdenken“ und die Bereitschaft der handelnden Akteure, die demografischen Fakten zu akzeptieren, statt sie zu ignorieren und sie schön zu reden.
Ein erster Schritt zur Realisierung einer bedarfsgerechten Wohnraumversorgung der Bevölkerung in der Stadtregion Münster ist die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den auf den Werten der Vergangenheit basierenden Bevölkerungsprognosen und dem sich im Wesentlichen daraus ergebenden Wohnraumbedarf.
Bevölkerungs- und Wohnungsentwicklung 2016 bis 2020
Aus Tabelle 1 wird die heterogene Bevölkerungsentwicklung innerhalb der Stadtregion in dem betrachteten 5-Jahreszeitraum vom 01.01.2016 bis 31.11.2020 deutlich. Während Greven mit 2,8% die höchste Bevölkerungszunahme zu verzeichnen hatte, ist in Senden die Bevölkerung um 0,5% gesunken.
Dem Gesamtanstieg der Bevölkerung innerhalb der Stadtregion in Höhe von 8.818 Einwohnern steht eine Erhöhung des Wohnungsbestandes von 11.317 Wohnungen (Tabelle 2) gegenüber.
Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Haushaltsgröße der jeweiligen Kommunen bedeutet ein Einwohnerzuwachs von 8.818 Einwohnern eine Erhöhung der Anzahl der Haushalte von 4.453 (Berechnung siehe Tabelle 3). Da jeder zusätzliche Haushalt den Wohnungsbedarf erhöht, ergibt sich unter Zugrundelegung des normativ festgelegten Versorgungsstandards „1 Wohnung je Haushalt“ für die Stadtregion Münster innerhalb des Analysezeitraums ein zusätzlicher Wohnungsbedarf in Höhe des Haushaltszuwachses. Da statt der benötigten 4.453 Wohnungen tatsächlich aber 11.317 Wohnungen fertiggestellt wurden, ergibt sich ein rechnerischer Bauüberfluss von 6.864 Wohnungen.
Der sich aus Tabelle 3 ergebende Bauüberfluss bestätigt die Ergebnisse von Studien, die in den vergangenen Jahren vom Institut der Wirtschaft Köln veröffentlicht wurden. Danach wurde in den Landkreisen des Münsterlandes vor allem im Einfamilienhausbereich zu viel gebaut. Unter dem Titel „Bauwahn auf der grünen Wiese“ lautet die nüchterne Feststellung: „Es wird an den falschen Stellen gebaut. Und es wird das Falsche gebaut.“
Bevölkerungsentwicklung 2021 bis 2050
Nach der aktualisierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes (IT.NRW) wird die Einwohnerentwicklung in den Kommunen der Stadtregion Münster weiterhin uneinheitlich verlaufen. Zwar kommt es zunächst weiterhin zu einem insgesamt geringer werdenden Bevölkerungswachstum, das jedoch schließlich in einen Bevölkerungsrückgang mündet (Tabelle 4).
Die von IT.NRW vorausberechnete Entwicklung basiert auf der Fortschreibung der Vergangenheitswerte. Da die Geburten- und Sterberaten kurz- und mittelfristig nicht beeinflussbar sind, wird sich die Dynamik des natürlichen Bevölkerungsrückgangs zwangsläufig fortsetzen.
Lediglich unter der Voraussetzung, dass die als „Wenn-dann-Aussage“ in der Bevölkerungsvorausberechnung formulierte Annahme der Wanderungsbewegungen zutrifft, nimmt der Bevölkerungsrückgang in der Stadtregion Münster einen abgeschwächten Verlauf. Mit anderen Worten: Nur wenn sich die von IT.NRW angenommen Nettozuwanderung auch weiterhin auf dem angenommenen hohen Niveau vollzieht, kann der unausweichliche Bevölkerungsrückgang abgemildert werden.
Grundlage für eine bedarfsgerechte Wohnraumbefriedigung ist neben der Veränderung der Einwohnerzahl der sich vollziehende Alterungsprozess der Bevölkerung. Der Vergleich des Altersaufbaus zu Beginn und gegen Ende des Prognosezeitraums zeigt die zunehmende Überalterung der Bevölkerung in der Stadtregion Münster. Die bereits in der Vergangenheit zu beobachtende Veränderung der Altersstruktur setzt sich im Prognosezeitraum unvermindert fort (Tabelle 5).
So gehen die Geburtenzahlen ebenso weiter zurück wie die für die Einfamilienhausnachfrage besonders relevante Altersgruppe der 25 bis 40-jährigen. Starke Zuwächse sind dagegen bei den Altersjahrgängen über 65 zu verzeichnen.
Die gravierende Veränderung der Altersstruktur hat vor allem erheblichen Einfluss auf den qualitativen Wohnungsbedarf. Wesentliche Aufgabe der interkommunalen Zusammenarbeit wird es folglich sein, den in allen Kommunen der Stadtregion Münster ansteigenden Bedarf nach altengerechtem und preiswertem Wohnraum zu befriedigen.
Schlussfolgerungen
Der Begriff „demografischer Wandel“ ist in der öffentlichen Diskussion häufig noch negativ besetzt. Eine auf die Zukunft gerichtete Strategie der interkommunalen Zusammenarbeit der 12 Kommunen der Stadtregion Münster sollte jedoch verstärkt die Chancen von Veränderungen in den Blick nehmen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Gemeinde Everswinkel verbinden mit der Zustimmung zu dem bisher nur grob skizzierten Konzept die Hoffnung, dass die stadtregionale Zusammenarbeit weniger als unverbindliche Diskussionsarena, sondern vielmehr als verbindliches, auf Partizipation und Fortschreibung beruhendes Arrangement begriffen wird.
Bei der Ausgestaltung und Konkretisierung der Zielsetzungen der anvisierten Kooperation sollten die dem Leitbild einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung immanenten Aspekte wie Vorrang der Innenentwicklung, Nachverdichtung, ressourcenschonende Bauformen und die Vorgabe von Mindestdichtewerten in Neubaugebieten in den Focus gerückt werden. Unabdingbare Voraussetzung für die Realisierung des im Raumordnungsgesetz verankerten Ziels des sparsamen und schonenden Umgangs mit der Ressource Boden ist die Vermeidung interkommunaler Konflikte. Konkurrenzdenken zur Durchsetzung von Partikularinteressen sollte zum Schutz des Allgemeinwohls der Vergangenheit angehören.
Durch die Vermeidung von Flächenüberangeboten und schädlichen Konkurrenzen zwischen den Kommunen können Flächen durch stadtregionale Zusammenarbeit zukünftig effektiver und bedarfsgerechter sowie „an der richtigen“ Stelle genutzt werden.
Eine so verstandene interkommunale Zusammenarbeit ist nach Ansicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Gemeinde Everswinkel Grundlage für die Schaffung einer Win-Win-Situation für alle 12 beteiligten Kommunen der Stadtregion Münster.
Siehe vertiefend auch:
Stadtregion Münster: Enormes Baulandpotenzial vorhanden
[1] Gemeinde Everswinkel: Vorlage 018/2022 zur Sitzung des Gemeinderates am 10.05.2022, Seite 2.
[2] Ebenda, Seite 1.
[3] Information und Technik Nordrhein-Westfalen: Bevölkerungsentwicklung 2021 – 2050. Abrufbar unter: https://www.it.nrw/sites/default/files/atoms/files/72b_22.pdf