Gaspedal statt Bremse

Obwohl die verfehlte Siedlungsentwicklung der vergangenen Jahre zu erheblichen finanziellen Belastungen mit unübersehbaren Spuren im kommunalen Haushalt geführt hat, wollen der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker in Everswinkel an der in ökologischer und ökonomischer Hinsicht „Nach-uns-die-Sintflut-Politik“ festhalten:

Die Gemeinde Everswinkel wird zukünftig die Ausweisung von Neubaugebieten sowohl in Alverskirchen als auch in Everswinkel anstreben.“[1]

Weiter in die falsche Richtung

Mit der Ankündigung im Vorbericht zum Haushalt 2023 in beiden Ortsteilen in den nächsten Jahren sowohl weitere Bau- als auch Gewerbegebiete[2] auszuweisen, teilt der Bürgermeister ungeniert mit, diese verhängnisvolle Kommunalpolitik weiterführen zu wollen.

Vor dem Hintergrund sich stark verändernder demografischer Rahmenbedingungen und kaum mehr zu leugnender Klimaveränderungen setzten die kommunalpolitischen Entscheidungsträger weiter auf die überholten „Rezepte“ der Vergangenheit. Nach wie vor wird die Hoffnung gehegt, dem aufgrund jahrzehntelanger zu niedriger Geburtenraten nunmehr an Dynamik gewinnenden Bevölkerungsrückgang begegnen zu können.

„Tausche Natur gegen Beton“ lautet im übertragenen Sinn die Botschaft, mit der vor allem junge Familien aus Münster „angelockt“ werden sollen. Allerdings kommt die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung von IT.NRW zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich die Zahl der Einwohner durch die Ausweisung immer neuer Einfamilienhausgebiete auf der „grünen Wiese“ wohl kaum beeinflussen lässt.[3]

Mit der Strategie „Wachstum durch Naturzerstörung“ wurde in Everswinkel eine Reihe von Siedlungsgebieten ausgewiesen und dabei immer wieder eklatante Verstöße gegen die Ziele der Raumordnung in Kauf genommen[4], ohne damit den Einwohnerrückgang aufhalten zu können. In den nächsten Jahren wird sich in Everswinkel die Zahl der Einwohner kontinuierlich um mehr als 500 verringern.[5]

Kirchturmpolitik mit katastrophalen Folgen

Auch die umliegenden Städte und Gemeinden sind in unterschiedlicher Ausprägung von dem seit langem erkennbaren Demografieproblem betroffen und versuchen mit einer entsprechenden „Kirchturmpolitik“[6] Einwohner aus den Nachbarkommunen zu generieren. Ein Nullsummenspiel zu Lasten der Natur und der kommunalen Haushalte.

Die Hoffnung, mit der Ausweisung überdimensionierter Baugebiete im „Kampf um Einwohner“ erfolgreich zu sein, hat in der Stadtregion Münster dazu geführt, dass 21.581 Wohneinheiten in den im Planungsverfahren befindlichen Baugebieten und den vorhandenen Restflächen aktueller Baugebiete realisiert werden können.[7] Nach den Berechnungen des Statistischen Landesamtes (IT.NRW) wird sich die Bevölkerung der gesamten Stadtregion Münster von 2021 bis 2025 jedoch lediglich um 3.064 Einwohner erhöhen.[8]

Die Folgen der unsinnigen Ausweisung von immer neuen Siedlungsflächen für den Bau von Einfamilienhäusern haben sich längst unter anderem in Form enorm gestiegener Infrastrukturfolgekosten für die nächsten Jahrzehnte auch im Everswinkeler Haushalt niedergeschlagen.[9]

Durch die Entscheidungen der Vergangenheit mit zahlreichen Investitionen in neue Infrastruktur wurden die Weichen gestellt. Dies beschert der Gemeinde dauerhafte Folgekosten für Betrieb, Unterhaltung, Instandhaltung und Abschreibung. Kosten die sich nicht mehr korrigieren lassen.

Das im Haushaltsplanentwurf 2023propagierte Ziel, in Everswinkel und Alverskirchen weitere Bau- und Gewebegebiete auszuweisen, bedeutet in Anbetracht des strukturell unausgeglichen kommunalen Haushalts, die Kosten weiter in die Höhe zu treiben, statt Konsolidierungsmaßnahmen einzuleiten. Mit anderen Worten: Wir geben Gas statt zu bremsen.

Politik gegen die eigenen Bürger beenden

Die im Haushaltsplanentwurf 2023 angekündigte weitere Ausweisung von Baugebieten in Everswinkel und Alverskirchen führt zur Fortsetzung der gegen die eigenen Bürger gerichteten Politik. Neubaugebiete im Außenbereich sind weder sachlich geboten noch ökonomisch und ökologisch vertretbar.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Gemeinde Everswinkel unter anderem mit teuren Werbemaßnahmeneinen den Ausverkauf der Natur zu „Schnäppchenpreisen“ betrieben, so als ginge es darum, lästige Restposten möglichst schnell loszuwerden. [10]  Nur dass hier keine billigen T-Shirts und Elektrogeräte verscherbelt wurden, sondern kostbarer Grund und Boden.

Bei einem weiteren Festhalten an der im Hinblick auf die Lösung des Demografieproblems völlig unwirksamen Strategie der weiteren Ausweisung von Baugebieten sollten der Bürgermeister und die Kommunalpolitiker der Gemeinde Everswinkel den nachfolgenden Generationen plausibel erklären können, warum wir so verschwenderisch mit diesem kostbaren Gut umgegangen sind. Warum wir es zubetoniert haben mit so überflüssigen wie aufgeblähten Einfamilienhaussiedlungen und überdimensionierten Gewerbegebieten.

Stellungnahme im Rahmen der Bürgerbeteiligung

In einer im Rahmen der Bürgerbeteiligung abgegebenen Stellungnahme werden der Bürgermeister und die Mitglieder des Gemeinderates aufgefordert, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen und die Konsolidierung des gemeindlichen Haushalts einzuleiten. [11]

Stellungnahme zum Haushaltsplan 2023 und der mittelfristigen Ergebnis- und Finanzplanung 2024 – 2026 der Gemeinde Everswinkel

 

[1] Gemeinde Everswinkel: Haushaltsplan 2023, Seite 7.
[2] Ebenda.
[3] IT.NRW: Bevölkerungsvorausberechnung für NRW. Ergebnisse für das Land, Kreise sowie Städte und Gemeinden 2021 bis 2050. Abrufbar unter: https://www.it.nrw/bevoelkerungsvorausberechnung-fuer-nrw
Anmerkung: Die Einwohnerzahl Nordrhein-Westfalens wird nach den aktuellen Berechnungen in den nächsten Jahrzehnten stetig zurückgehen. So werden 2050 nur noch rund 17,6 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen leben, gegenüber dem Stand von 2021 wäre das ein Rückgang um gut 310 000 Personen.
[4] Siehe hierzu unter anderem die Beiträge in der Kategorie Ziel der Raumordnung nicht beachtet
und des Weiteren zum Baugebiet Beitrag zum Bergkamp III: Erneuter Rechtsbruch?
[5] IT.NRW: Bevölkerungsentwicklung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2021 bis 2020, Seite 55. Abrufbar unter: https://www.it.nrw/sites/default/files/atoms/files/72b_22.pdf
[6] Siehe Glossar, Stichwort Kirchturmdenken.
[7] Geschäftsstelle der Stadtregion Münster (Hrsg.) „Entwicklungsorientierte Wohnungsmarktbeobachtung in der Stadtregion Münster“, Februar 2022, abrufbar unter:
https://www.stadt-muenster.de/sessionnet/sessionnetbi/getfile.php?id=502654&type=do
Anmerkung: Der Wert von 21.581 Wohneinheiten wurde durch Addition der in den Steckbriefen den einzelnen Kommunen zugeordneten Baulandpotenziale ermittelt.
[8] IT.NRW: Bevölkerungsentwicklung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2021 – 2050, März 2022, abrufbar unter: https://www.it.nrw/sites/default/files/atoms/files/72b_22.pdf
[9] Anmerkung: In der wissenschaftlichen Literatur besteht ein breiter Konsens, dass die Infrastrukturfolgekosten bei einer geringen baulichen Dichte (unter 60 Wohnungen je Hektar) wie sie in den Einfamilienhausgebieten in Everswinkel gegeben ist, um ein Vielfaches höher sind als in Wohngebieten mit höherer baulicher Dichte. Siehe beispielhaft Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (Hrsg.):  Ein Leitfaden zur Abschätzung der Folgekosten alternativer Bevölkerungs- und Siedlungsszenarien für soziale und technische Infrastrukturen, 2006, Seite 6.
[10] Siehe Wolk, Alfred: Teure Werbekampagne: Das Buhlen um Grundstückskäufer.
[11] Anmerkung: Nach § 80 Absatz 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich schriftlich an der Haushaltsplanung in Form von Bedenken, Anregungen oder Einwendungen zu beteiligen.