Zum dritten Mal seit 2014 hat die Gemeinde Everswinkel eine Bedarfsermittlung für den Wohnungsneubau im Ortsteil Alverskirchen erstellen lassen.[1] Grundlage für die Ermittlung des zukünftigen Wohnbaubedarfs war die Analyse der Bevölkerungsentwicklung seit 2008 (sogenannter Stützzeitraum) und eine Vorausberechnung für den Zeitraum bis 2030 (sogenannter Prognosezeitraum).
Analyse der Vergangenheit
Die Analyse der Bevölkerungsentwicklung für die vergangenen Jahre zeigt eine nahezu unveränderte Gesamtbevölkerung. Am 01.01.2008 lebten nach Angabe der Gemeindeverwaltung 1.906 Personen in Alverskirchen.[2] Zehn Jahre später war am 31.12.2017 mit 1.913 Einwohnern[3] ein Plus von 7 Einwohnern zu verzeichnen.
Während in dem Stützzeitraum von 2008 bis 2017 die Bevölkerung absolut betrachtet stagnierte, weist die Altersstruktur erhebliche Veränderungen auf. Die Zahl der unter 40-Jährigen hat um 155 abgenommen und gleichzeitig vergrößerte sich die Gruppe der über 60-Jährigen um 120 Personen.[4]
Prognose bis 2030
Die im Gutachten 2018 vorgenommene Bevölkerungsvorausberechnung für den Prognosezeitraum bis zum Jahr 2030 liefert ein Zukunftsbild des demografischen Profils für den Ortsteil Alverskirchen. Im Wesentlichen kommt das aktuelle Gutachten zu folgenden Ergebnissen:
- Die Bevölkerung in Alverskirchen wird sich in Zukunft verringern. Der Bevölkerungsrückgang wird wesentlich deutlicher ausfallen als in den beiden Vorgängerstudien prognostiziert.[5]
- Der Sterbeüberschuss wird aufgrund der auch in Alverskirchen seit Jahrzehnten zu geringen Geburtenrate stetig zunehmen.
- Insbesondere der Rückgang der Zuzüge in Verbindung mit einer konstanten Zahl der Wegzüge wird sich negativ auf die Bevölkerungsentwicklung in Alverskirchen auswirken.[6]
- Erschwerend hinzu kommt eine weitere Abnahme der Zahl der Personen in den jungen und mittleren Altersklassen bei gleichzeitiger Zunahme der Personen in den älteren Jahrgängen.
Das Gutachten bestätigt in geradezu exemplarischer Weise die seit langem bekannte strukturelle Entwicklungsproblematik, die insbesondere auch im überwiegend ländlich geprägten Münsterland zu verzeichnen ist: Die Bevölkerung schrumpft vielerorts und es kommt gleichzeitig zu einer beachtlichen Veränderung der Altersstruktur.
Kirchturmpolitik nicht zielführend
Viele Bürgermeister und Kommunalpolitiker versuchen dem demografischen Veränderungsprozess durch die Ausweisung immer neuer Baugebiete am Ortsrand zu begegnen. Durch die Bereitstellung von Grundstücken auf der „grünen Wiese“ sollen junge Familien aus den Nachbarkommunen „angelockt“ werden. Ein Nullsummenspiel, das dauerhaft nicht funktionieren kann, da die Nachbarkommunen dem Problem mit der gleichen „Kirchturmpolitik“[7] begegnen.
Folge: Ein enormer Flächenverbrauch mit gravierenden Schäden für die Natur und eine Steigerung der Infrastrukturfolgekosten, die zukünftig von immer weniger Bürgern aufzubringen sind.
Auch in Alverskirchen hat die rechtswidrige Ausweisung von überdimensionierten Baugebieten in der Vergangenheit nicht zu der erhofften Lösung der strukturellen Probleme geführt.
Im Gegenteil: Durch die Baugebiete „Große Kamp“ und „Königskamp“ sowie die Nutzung von Innenentwicklungspotenzialen wurden seit 2008 für eine nahezu konstant gebliebene Bevölkerung mehr als 70 neue Wohneinheiten geschaffen. Hinzu kommen bis 2030 mehr als 50 Bestandsimmobilien, die aufgrund des Generationenwechsels für eine Folgenutzung zur Verfügung stehen. [8] Mit dem kürzlich gefassten Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 58 „Königskamp III“ wollen Verwaltung und Kommunalpolitiker die Möglichkeit zur Realisierung von 41 weiteren Wohneinheiten schaffen.[9]
Verschärfung der Leerstandsproblematik
Eine permanente Erhöhung der Wohneinheiten bei gleichzeitig rückläufiger Entwicklung der Zahl der Haushalte ist mit einer Zunahme von Wohnungsleerständen gleichzusetzen.[10] Eine Erkenntnis, die den Gutachter in seinem aktuell vorgelegten Wohnungsbedarfsgutachten zu der Formulierung veranlasst: „Die Ergebnisse der Haushaltsvorausberechnung für Alverskirchen müssen diskutiert werden.“[11]
Der im jüngsten Gutachten prognostizierte beschleunigte Rückgang der Bevölkerung und die damit zwangsläufig einhergehende Erhöhung der Leerstandsproblematik lassen sich nach Ansicht des Gutachters lediglich abschwächen. Allerdings ist die in Aussicht gestellte Abschwächung des Problems nur unter der Voraussetzung möglich, dass die zukünftig verstärkt frei werdenden Immobilien durch eine Erhöhung der Zuzüge aus dem Nahbereich genutzt werden.[12]
Gleichzeitig weist der Gutachter allerdings darauf hin, dass „im aktuellen Stützzeitraum eine kontinuierlich zurückgehende Zuwanderung zu erkennen ist.“[13]
Umdenken erforderlich
Vor dem Hintergrund einer sich „deutlich verändernden Entwicklungsdynamik“[14] und der Tatsache, dass auch in den Nachbarkommunen „Baugebiete wie Pilze aus dem Boden schießen“[15] bleibt nur zu hoffen, dass möglichst rasch ein Umdenken bei den politisch Verantwortlichen stattfindet. Auch das mittlerweile dritte Wohnungsbedarfsgutachten für den Ortsteil Alverskirchen zeigt, dass der demografische Wandel längst hier angekommen und nicht mehr zu leugnen ist.
Nicht mehr auf Wachstum angelegte Naturzerstörung, sondern eine qualitative Entwicklung im Sinne der Stärkung dörflicher Strukturen ist das Gebot der Stunde. Dann hat auch das Dorf Alverskirchen eine nachhaltige Zukunft inmitten der Münsterländer Parklandschaft.
[1] Mit der Erstellung der Gutachten „Bedarfsermittlung für den Wohnungsneubau im Ortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel“ wurde das Büro „Schulten Stadt- und Raumentwicklung“ in Dortmund beauftragt. Es wurde jeweils ein Gutachten 2014, 2015 und 2018 vorgelegt.
[2] Gemeinde Everswinkel: Bevölkerungsstatistik für die Ortsteile Alverskirchen und Everswinkel, Anlage 1 zum Schreiben vom 16. Oktober 2013 im Rahmen des Normenkontrollverfahrens „Königskamp“.
[3] Schulten Stadt- und Raumentwicklung: Wohnungsbedarf in Alverskirchen, Januar 2018, Seite 10.
[4] Vgl. Schulten Stadt- Raumentwicklung: Wohnungsneubaubedarf in Alverskirchen, März 2014, Tabelle A3, Seite 44 und Wohnungsbedarf in Alverskirchen, Januar 2018, Tabelle A 2, Seite 10.
[5] Vgl. Schulten Stadt- und Raumentwicklung, Januar 2018, Seite 19.
[6] Ebenda, Seite 12.
[7] Vgl. im Glossar die Erläuterungen zum Begriff „Kirchturmpolitik“.
[8] Vgl. Schulten Stadt- und Raumentwicklung, März 2014, Seite 23.
Anmerkung: In dem Gutachten wurden 52 Einfamilienhäuser ermittelt, die 2012 nur von Personen ab 70 Jahren bewohnt waren. Das überdurchschnittlich hohe Alter der Bewohner lässt auf einen „künftigen altersbedingten Nutzerwechsel schließen“.
[9] Gemeinde Everswinkel: Begründung zum Bebauungsplan Nr. 58 „Königskamp III“, Vorentwurf, September 2018, Seite 10.
[10] Schulten Stadt- und Raumentwicklung, 2018, Seite 20.
[11] Ebenda, Seite 20.
[12] Ebenda, Seite 19 f.
[13] Ebenda, Seite 10.
[14] Ebenda, Seite 19.
[15] Artikel in den Westfälische Nachrichten vom 03.März 2018: Empfehlung für neues Bauland.