Verfehlte Wohnungsbaupolitik erneut bestätigt

Wiederholt hatte das Institut der deutschen Wirtschaft in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass insbesondere in den ländlichen Kommunen am tatsächlichen Bedarf vorbei gebaut wird.[1] Das Überangebot in den Landkreisen des Münsterlandes betrifft vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser, die sehr häufig auf der „grünen Wiese“ am Ortsrand entstehen.[2]

Der Gemeinde Everswinkel wird mit einer aktuellen Studie bestätigt, dass sie zu den Kommunen zählt, die das „Falsche am falschen Ort“ bauen.

Fehlentwicklungen aufgedeckt

Die Autoren des im Auftrag der Gemeinde Everswinkel erstellten „Gemeindeentwicklungskonzept 2030“[3] sehen erhebliche Fehlentwicklungen beim Thema Wohnen:

      1. Der Anteil an Ein-und Zweifamilienhäusern liegt mit 75,2% sehr hoch[4] und
        wird vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen dem tatsächlichen Bedarf nicht gerecht. [5]
      2. Es sind nur wenige Mehrfamilienhäuser mit kleineren Wohneinheiten vorhanden.[6]
      3. Eine Planung, die laut durchgeführter Bestandsanalyse, nicht an den Bedarfen ausgerichtet ist, stellt für die zukünftige Gemeindeentwicklung ein Risiko dar. [7]
      4. Die Ausweisung von Wohnbaugebieten im Süden des Ortsteils Everswinkels ist Ursache für eine zunehmende innerörtliche Verkehrsbelastung,[8] welche „die Durchlässigkeit beeinträchtigt und die Anwohner belastet“.[9]

Die von der Gemeinde Everswinkel betriebene Politik richtet sich vornehmlich auf die Ausweisung neuer Siedlungsflächen am Ortsrand für die Bebauung mit überwiegend Einfamilienhäusern. Eine solche Politik geht am Bedarf vorbei und steht im diametralen Gegensatz zur Nachhaltigkeitsstrategie.[10]

Das Einfamilienhaus ist eine der am wenigsten anpassungsfähige Wohnbauform und gleichzeitig diejenige mit dem höchsten Landschafts- und Flächenverbrauch sowie mit den höchsten Bau-, Betriebs- und Erschließungskosten. Daher ist es fatal heute noch neue Einfamilienhausgebiete auszuweisen.[11]

Entscheidungen an veränderte Bedarfe anpassen

Nachgefragt wird in Zukunft Wohnraum für kleine Familien und Alleinerziehende, aber auch deutlich mehr seniorengerechte, barrierefreie Wohnungen in zentraler Lage. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge Familien, die als Nachfrager für Einfamilienhäuser in Frage kommen.

Es ist daher nur folgerichtig, dass Verwaltung und Kommunalpolitiker mit dem „Gemeindeentwicklungskonzept 2030“ aufgefordert werden, sich vom „Bau auf der grünen Wiese“ weitgehend zu verabschieden und das bisherige Dogma des Flächenwachstums aufzugeben.[12]

Im Focus einer dem Leitgedanken der Attraktivierung des Wohnumfelds verpflichteten Gemeindeentwicklung hat stattdessen die „Förderung der Innenentwicklung durch Nachverdichtung im Bestand“ zu stehen.[13] Dabei sollte die Schaffung von seniorengerechten Wohnungen in Ortskernnähe und die Versorgung von Singles und Erstwohnungsbeziehern mit kleineren Wohneinheiten priorisiert werden.[14]

Als wesentlich für eine bedarfsgerechte und auf die Zukunft gerichtete städtebauliche Entwicklung sehen die Autoren des „Gemeindeentwicklungskonzepts 2030“ darüber hinaus die Erfüllung der Forderung, auf die Verteilung der Verkehre zu achten. Bereits im Vorfeld der weiteren Entwicklung sollte die erforderliche Trasse zur Entlastung des Ortskerns durchdacht werden.[15]

Vision und Wirklichkeit

Wie weit die Visionen eines in einem Gemeindeentwicklungskonzept formulierten Leitbildes und die kommunalpolitische Realität auseinanderklaffen, ist am Beispiel der Gemeinde Everswinkel deutlich erkennbar.

Trotz der im vorliegenden „Gemeindeentwicklungskonzept 2030“ unmissverständlich formulierten Handlungsempfehlungen zur Attraktivierung des Wohnumfeldes wollen die kommunalpolitischen Entscheidungsträger an den alten Rezepten der Vergangenheit festhalten.

Verwaltung und Kommunalpolitiker sind wider besseres Wissen fest entschlossen, erneut ein Baugebiet für die Bebauung mit überwiegend Einfamilienhäusern am Ortsrand auszuweisen. Mit dem zurzeit in der Bauleitplanung befindlichen Baugebiet „Bergkamp III“ sollen nach altem Muster junge Familien aus den Nachbarkommunen angelockt werden. Naturzerstörung, Klimaschäden, Erhöhung der innerörtlichen Verkehrsproblematik und eine Verschlechterung er Lebensqualität der Everswinekeler Bevölkerung werden dabei als „Kollateralschäden“ in Kauf genommen.[16]

Vor dem Hintergrund der Forderungen aus dem Gemeindeentwicklungskonzept geradezu ein groteskes Unterfangen.

Konzeptlosigkeit beenden

In der Vergangenheit wurde zwar immer wieder ein schlüssiges Ortsentwicklungskonzept angemahnt, um einen Rahmenplan im Umgang mit der demografischen Entwicklung und den sich daraus ergebenden Veränderungen für die Ortsteile Everswinkel und Alverskirchen zu erhalten. Gebetsmühlenartig wurden derartige Anträge von der Mehrheit im Gemeinderat aber immer wieder rigoros abgelehnt.[17] Begründung: Zum politischen Handeln bedürfe es keiner Konzepte. Die Mehrheitsmeinung im Gemeinderat sei völlig ausreichend.[18]

Eine vergangenheitsorientierte Mehrheitsmeinung und die Fortschreibung überholter Verhaltensmuster genügen wohl kaum den Ansprüchen an ein zeitgemäßes Zukunftskonzept, das in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen und den Zielen der Raumordnung steht.

Motivation für die Zustimmung der Kommunalpolitiker zur Erstellung des „Gemeindeentwicklungskonzepts 2030“ war offenbar weniger die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, als die Hoffnung, finanzielle Fördermittel für notwendige Investitionen zu erhalten.[19]

Widerspruch von Rhetorik und Handeln auflösen

In Everswinkel sollte der von vielen beklagte Widerspruch von Rhetorik und Handeln, der aktuell durch die Auseinandersetzung mit dem „Gemeindeentwicklungskonzept 2030“ offen zu Tage tritt, möglichst rasch aufgelöst werden. Nur eine von Nachhaltigkeit und der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen geprägte kommunale Entwicklung wird langfristig betrachtet Bestand haben und auf Dauer den Wünschen der Everswinkeler Bürger gerecht.

 

[1] Philipp Deschermeier/Ralph Henger/Björn Seipelt/Michael Voigtländer (Institut der Wirtschaft Deutschland): Wohnungsmangel in den Städten, Leerstand auf dem Land, IW-Kurzbericht Nr. 44 vom 19. Juni 2017.
siehe hierzu auch:  IW-Studie, Im Kreis Warendorf wird zuviel gebaut.
Henger, Ralph und Voigtländer, Michael: (Institut der Wirtschaft Deutschland): Ist der Wohnungsbau auf dem richtigen Weg?, IW-Report 28/2019.
[2] Vgl. Henger, Ralph und Voigtländer, Michael, ebenda, Seite 21.
[3] Gemeinde Everswinkel (Hrsg.): Gemeindeentwicklungskonzept 2030. Integrierte energetische Quartierskonzepte für die Ortsteile Everswinkel und Alverskirchen, Berichtsfassung Juli 2020.
[4] Vgl. ebenda, Seite 38.
[5] Vgl. ebenda, Seite 90.
[6] Vgl. ebenda, Seite 90.
[7] Vgl. ebenda, Seite 90.
[8] Vgl. ebenda, Seite 91.
[9] Vgl. ebenda, Seite 26.
[10] Naturschutzbund Deutschland (Hrsg.): Nachhaltige Siedlungsentwicklung. Das Grundsatzprogramm zum Planen und Bauen in Deutschland, 1. Auflage 2020, Seite 10. Im Internet abrufbar unter: Nachhaltige Siedlungsentwicklung
[11] Vgl. ebenda, Seite 24.
[12] Vgl. Gemeinde Everswinkel (Hrsg.): Gemeindeentwicklungskonzept 2030, ebenda, Seite 96.
[13] Vgl. ebenda, Seite 96.
[14] Vgl. ebenda, Seite 95.
[15] Vgl. ebenda, Seite 96.
[16] Vgl. hierzu insbesondere die Stellungnahmen im Rahmen der Offenlegung, abrufbar unter:
Stellungnahme vom 28. Juli 2020
Stellungnahme vom 08. März 2020
[17] Vgl. z. B. Antrag vom 21. November 2011, Bündnis 90/Die Grünen: Ortsentwicklungskonzept für das Gemeindegebiet Everswinkel.
[18] Vgl. Leserbrief in den Westfälischen Nachrichten vom 25. Oktober 2013: Ortsentwicklungskonzept gefordert.
Im Internet abrufbar: Leserbrief Ortsentwicklungskonzept
[19] Vgl. Gemeinde Everswinkel (Hrsg.): Gemeindeentwicklungskonzept 2030, ebenda, Seite 4.