Regionalplanänderung: Offensive für mehr Flächenverbrauch

Die beabsichtigte Änderung des Regionalplans Münsterland[1] stellt den Start zu einer groß angelegten Offensive für den Flächenverbrauch in einem immensen Ausmaß dar.

Mit der Begründung, dass Wirtschaftswachstum müsse gesichert werden[2], erhalten die 66 Städte und Gemeinden im Regierungsbezirk Münster Flächenpotenziale für die nächsten 10 bis 15 Jahre zur Ausweisung von Bau- und Gewerbegebieten zugebilligt, die dem gesamtgesellschaftlich angestrebten Ziel des Flächensparens völlig zuwiderlaufen.[3]

Angesichts von Klimakrise und Artensterben widerspricht die Zuweisung von Planungsflächen für die weitere Zersiedelung des Münsterlandes dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Politik und Verwaltungen Klimaschutz stärker als bisher bei ihren Planungen berücksichtigen müssen.[4]

Wettbewerb um Einwohner als Leitziel

Allein die rund 9.700 Einwohner zählende Gemeinde Everswinkel erhält durch die Änderung des Regionalplans zur Vorbereitung der weiteren Flächenversiegelung insgesamt rund 30 ha[5] bisher landwirtschaftlich genutzte Fläche zugeteilt, um vor dem Hintergrund einer stagnierenden und künftig rückläufigen Bevölkerungsentwicklung den seit Jahren betriebenen naturzerstörerischen Wettbewerb um Einwohner mit den Nachbarkommunen fortsetzen zu können.[6]

Insbesondere im Ortsteil Alverskirchen soll stärker als bisher der Versuch unternommen werden, Einwohner aus Münster „anzulocken“[7]. Zur Realisierung dieses Ziels erfolgt im neuen Regionalplan die Ausweisung Alverskirchens zukünftig als „Allgemeines Siedlungsgebiet“ (ASB) statt wie bislang als „Allgemeiner Freiraum und Agrarbereich“.

Verbunden mit der Umwidmung vom regionalplanerischen „Freiraum“ zum „Allgemeinen Siedlungsgebiet“ ist die Zubilligung von ca. 9 ha Planungsfläche[8] am Ortsrand zur Bebauung mit Wohnhäusern und Gewerbebetrieben.

Missachtung raumordnerischer Bestimmungen

Die Ausweisung des bisherigen Eigenentwicklungsortsteils Alverskirchen als zukünftigen „Allgemeinen Siedlungsbereich“ steht zum einen in einem eklatanten Widerspruch zu einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung und verstößt zum anderen gegen raumordnerische Zielsetzungen.

Nach den derzeit geltenden Bestimmungen des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalen dürfen „Eigenentwicklungsortsteile“ nur ausnahmsweise im Regionalplan zu einem „Allgemeiner Siedlungsbereich“ umgewidmet werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So muss insbesondere durch ein hinreichend vielfältiges Infrastrukturangebot die Grundversorgung sichergestellt werden.[9]

Diese Voraussetzungen sind in Alverskirchen jedoch keineswegs gegeben. Alverskirchen hat ebenso wie zahlreiche andere kleine Orte des Münsterlandes in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Verlust an dörflicher Infrastruktur hinnehmen müssen. Die Schließung von Post, Sparkasse, Volksbank und der für die Pflege sozialer Kontakte so wichtigen „Dorfkneipe“ sind ebenso Beispiele für den Veränderungsprozess, wie die Aufgabe der Hausarztpraxis und auch der einstmals vorhandenen Zahnarztpraxis. Nach dem Wegfall des letzten Lebensmittelgeschäftes (Nahversorger) ist immerhin noch der Kauf von Brot und Brötchen in einer Bäckereifiliale gewährleistet.

Trotz des Fehlens elementarer Angebote der Grundversorgung soll Alverskirchen zu einem Siedlungsgebiet entwickelt werden. Die Gemeinde Everswinkel und die Bezirksregierung Münster setzen damit ihre „unheilvolle Allianz“ im Hinblick auf die Missachtung raumordnerischer Bestimmungen fort.[10]

Wohnunsbedarfsgutachten wird ignoriert

Das Voranschreiten der bereits jetzt stark eingeschränkten Infrastruktur wird vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Veränderungen durch die Ausweisung immer neuer Baugebiete keineswegs aufgehalten.

Auch zur Deckung des örtlichen Wohnungsbedarfs werden in absehbarer Zukunft in Alverskirchen keine neuen Siedlungsflächen benötigt.

Mehrere von der Gemeinde in Auftrag gegebene Wohnungsbedarfsgutachten belegen, dass der Wohnungsbedarf der ortsansässigen Bevölkerung durch das Baugebiet Königskamp mindestens bis zum Jahr 2030 mehr als gedeckt ist.[11] Darüber hinaus hat die Gemeinde Everswinkel durch Bebauungsplanänderungen im Innenbereich die Möglichkeit zur Nachverdichtung geschaffen, wodurch ohne Inanspruchnahme weiterer Siedlungsflächen der Bedarf an Wohnraum auch weit über das Jahr 2030 hinaus gewährleistet ist. Hinzu kommen in einem erheblichen Umfang durch Generationenwechsel frei werdende Einfamilienhäuser.[12]

Zur Befriedigung des Alverskirchener Wohnungsbedarfs ist die Ausweisung weiterer Baugebiete somit keinesfalls erforderlich. Befriedigt werden sollen vielmehr die renditegeleiteten Interessen der Bau- und Immobilienwirtschaft – zum Nachteil der Natur und zum Nachteil der Alverskirchener Dorfbewohner.

Aufhebung der Schutzfunktion

Die Hoffnung, mit dem raumplanerischen Instrument der „Eigenentwicklung“ das Dorf Alverskirchen mit seinen weniger als 2.000 Einwohnern vor der Zersiedelung zu schützen, wird mit der Ausweisung als Siedlungsfläche im neuen Regionalplan Münsterland endgültig aufgegeben. Mit der Änderung des Regionalplans wird Alverskirchen der zum Erhalt der dörflichen Strukturen und zur Gewährleistung einer organischen Entwicklung raumplanerisch gewährten Schutzfunktion beraubt.

Für die Aufhebung dieser Schutzfunktion erhalten die Alverskirchener im Gegenzug die Garantie der weiteren Zersiedelung der Landschaft und die Gewissheit einer sukzessiven Verschlechterung der Lebensqualtität der im Dorf lebenden Bewohner.

So steigt der im ländlichen Bereich überdurchschnittlich hohe Individualverkehr weiter an, da sich mit jedem neuen Einfamilienhaus die Anzahl der Fahrzeuge in der Regel um zwei Personenkraftwagen erhöht. Die Verstetigung der Pendlerströme zu den Arbeitsplätzen in die umliegenden Regionen, die Einkaufsfahrten in die Nachbarorte und auch die vielfältigen Chaufferdienste vor allem der Mütter für ihre Kinder führen zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen mit entsprechenden Lärmbelästigungen für die Einwohner und zu gravierenden Folgen für die Umwelt.

Fortschreibung der Fehlentwicklungen

Mit der Änderung des Regionalplans wird der Flächenverbrauch im Münsterland vorangetrieben und ökonomische Aspekte zum Nachteil der Ökologie begünstigt.

Damit werden die bereits bekannten gesellschaftlich relevanten Umweltprobleme, die sich durch die weiterhin mehr oder weniger ungebremste Ausweisung zusätzlicher Siedlungsflächen ergeben, drastisch verstärkt.

Flankiert werden diese irreversiblen Fehlsteuerungen durch die Aufgabe raumordnerischer Instrumente, wie das Beispiel des Ortsteils Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel offenbart. Der Bau von Einfamilienhäusern auf bisher im naturnahen Freiraum gelegenen Flächen wird damit geradezu angeheizt.

Die Änderung des Regionalplans Münsterland führt in dieser Form zwangsläufig zur Fortschreibung der Fehlentwicklungen statt zu einer nachhaltigen Raumentwicklung.

siehe vertiefend:
Bürgermeister verweigert Dialog mit Dorfbewohnern
Politische Kultur in Everswinkel verbesserungsbedürftig
Schutzauftrag des Grundgesetzes auch in Alverskirchen endlich ernst nehmen

[1] Zur Änderung des Regionalplans Münsterland siehe Vorlage 35/2022 der Bezirksregierung Münster zur Sitzung des Regionalrats am 12. Dezember 2022.
[2] Ebenda, Seite 4.
[3] Mit der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung Anfang 2018 das ursprünglich für 2020 anvisierte 30-Hektar-Ziel auf das Jahr 2030 festgelegt.
[4] Mit Urteil vom 29. April 2021 wurde vom Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es ein Grundrecht auf Klimaschutz bzw. auf Schutz vor den Folgen der Klimakrise gibt. Dies sollte ein deutliches Signal auch an die Lokalpolitiker vor Ort sein, die Klimaschutzanstrengungen zu erhöhen.
[5] Die Daten wurden dem Anhang 4.1 e (Dokumentationsbögen ASB-P Kreis WAF) zur Vorlage 35/2022 (siehe Fußnote 1) entnommen.
[6] Nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung von IT.NRW wird sich in den nächsten Jahren die Zahl der Einwohner in Everswinkel um mehr als 500 verringern.
[7] Siehe beispielhaft den Beitrag: Siedlungsflächen werden rücksichtslos ausgewiesen. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/siedlungsflaechen-werden-ruecksichtslos-ausgewiesen/#more-1248
[8] Siehe Fußnote 4.
[9] Vgl. Bezirksregierung Münster: StoryMap zur Anpassung des Regionalplans Münsterland, Schwerpunktthemen, Siedlungsentwicklung in kleineren Ortsteilen. Abrufbar unter: https://www.giscloud.nrw.de/regionalplan-muensterland.html
[10] Die Gemeinde Everswinkel hat in den vergangenen Jahrzehnten mit Duldung der Bezirksregierung durch die Ausweisung überdimensionierter Baugebiete im Ortsteil Alverskirchen gegen die Ziele der Raumordnung verstoßen. Siehe hierzu insbesondere OVG-Urteil vom 18.10.2013. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/lexikon/oberverwaltungsgericht-nordrhein-westfalen/
[11] Von der Gemeinde Everswinkel wurde in den Jahren 2014, 2015 und 2018 jeweils ein Gutachten „Bedarfsermittlung für den Wohnungsneubau im Ortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel in Auftrag gegeben. Siehe hierzu insbesondere den Beitrag: Zeit zum Umdenken. Abrufbar unter: https://alfred-wolk.de/zeit-zum-umdenken/
[12] Laut Wohnungsbedarfsgutachten der Gemeinde Everswinkel stehen im Ortsteil Alverskirchen bis 2030 ca. 50 Bestandsimmobilien durch Generationenwechsel für eine Folgenutzung zur Verfügung.