Das Statistische Landesamt hat eine neue Bevölkerungsvorausberechnung für alle Kommunen des Landes Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum von 2018 bis 2040 vorgelegt.[1] Die nun zur Verfügung stehenden Berechnungen liefern aktuelle Erkenntnisse insbesondere über die zukünftige Entwicklung der Bevölkerungszahl und die Veränderung der Altersstruktur einer Gemeinde.
Die Vorausberechnung zeigt, dass Everswinkel – ebenso wie viele andere Kommunen des Münsterlandes – der Demografiefalle nicht mehr entkommen kann: Die natürliche Bevölkerungsentwicklung ist in dem Betrachtungszeitraum rückläufig und die Alterung der Bevölkerung setzt sich mit zunehmender Dynamik fort.
Zahl der Sterbefälle höher als die Zahl der Geburten
„Der demografische Wandel wird auch bei uns in Everswinkel stattfinden, ob wir das wollen oder nicht“, stellte der Bürgermeister bereits im Jahr 2005 fest und wies zugleich darauf hin, dass die natürliche Bevölkerungsentwicklung unbestritten rückläufig sei.[2] Die aktuell vom Statistischen Landesamt vorgelegten Zahlen belegen, dass dieser seit langem erkennbare Trend in Zukunft an Dynamik gewinnen wird. Während die Zahl der Geburten weiter zurückgeht, nimmt die Anzahl der Sterbefälle kontinuierlich zu. Der im Prognosezeitraum stetig wachsende Überschuss der Sterbefälle über die Geburten führt in Everswinkel bis zum Jahr 2040 zu einem Rückgang der natürlichen Bevölkerung um 212 Einwohner.[3]
Die Konsequenz aus den seit Jahrzehnten unterhalb des Bestandserhaltungsniveaus liegenden geringen Geburten ist eine in Zukunft immer geringere Anzahl an Kindern und Jugendlichen. Diese fehlen später ihrerseits als Eltern, was noch geringere Geburten zur Folge hat. Die Spirale setzt sich also fort. Die triviale Aussage, „dass jede Generation durch die Zahl ihrer Kinder die Größe ihrer Nachfolgegeneration bestimmt“, verdeutlicht, dass der natürliche Bevölkerungsrückgang für Jahrzehnte unumkehrbar ist, da die Nicht-Geborenen keine Kinder und diese keine Enkel zur Welt bringen können.[4] Der Prognosefehler dieser Aussage ist gleich Null.
Starker Anstieg der Altersgruppe ab 65
Neben der Veränderung der Einwohnerzahl zeigen die Ergebnisse der aktuellen Bevölkerungsprognose die Veränderung der Everswinkeler Bevölkerungsstruktur auf. Während sich in allen Altersgruppen bis zum 64. Lebensjahr der zahlenmäßige Rückgang fortsetzt, ist in den Altersjahrgängen ab 65 ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen (siehe Anlage 1).
Einem Rückgang um 1.621 Einwohner bei den Jahrgängen bis zum Alter von 64 steht ein Zugang von 1.409 in der Altersgruppe ab 65 Jahren gegenüber. Die stärkste Zuwachsrate erfährt die Gruppe der über 80-Jährigen, die sich bis zum Prognoseende 2040 von 526 auf dann 1.345 Hochbetagte vergrößern wird.
Der kontinuierliche Bevölkerungsrückgang innerhalb der jüngeren Alterskohorten bei gleichzeitig stetigem Anstieg des Bevölkerungsanteils im höheren Alter führt zu einer unübersehbaren demografischen Überalterung der Everswinkeler Bevölkerung.
Die gravierenden altersstrukturellen Veränderungen wirken sich zwangsläufig auf die Nachfrage nach altersspezifischen Leistungen aus. Neben einer veränderten Inanspruchnahme der kommunalen Infrastruktur (z. B. Kindergärten, Schulen), ergeben sich insbesondere quantitative und qualitative Nachfrageveränderungen am Wohnungsmarkt.
Stark betroffen von einer sinkenden Nachfrage werden in der Zukunft vor allem die Einfamilienhausgebiete im Grünen sein, da sich die in der Familienbildungsphase befindliche Bevölkerungskohorte (24 bis unter 45 Jahre) weiter rückläufig entwickelt. Gleichzeitig steigt der Bedarf an kleinen, altengerechten Wohnungen.
Veränderte Wanderungsbewegungen
Die demographischen Vorausberechnungen sind im Hinblick auf die Entwicklung von Geburten und Sterbefällen aufgrund der in der Regel über einen längeren Zeitraum unveränderlichen Fertilitäts- und Mortalitätsraten Prognosen, die als eine Geschichtsschreibung ex ante bezeichnet werden können.[5]
Neben den relativ sicher vorhersehbaren Geburten und Sterbefällen beeinflussen auch Zu- und Fortzüge die künftige Bevölkerungsentwicklung einer Kommune. Ziel einer Bevölkerungsprognose, die als Grundlage für nachhaltige Entscheidungen herangezogen werden kann, sollte es daher sein, fundierte Erklärungen für Veränderungen künftiger Wanderungsbewegungen zu finden.
Im Vergleich zu natürlichen Bevölkerungsveränderungen (Geburten und Sterbefälle) unterliegen Wanderungsbewegungen (Zuzüge und Fortzüge) im Zeitverlauf erfahrungsgemäß stärkeren Schwankungen und erweisen sich somit vielfach als Unsicherheitsfaktor bei Berechnungen zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung.
Nur durch eine detaillierte Analyse der Wanderungsdaten der Vergangenheit durch Vergleich von altersspezifischen Fortzugs- und Zuzugsraten für unterschiedliche Zeiträume, können mögliche Verhaltenseffekte erkannt und gegebenenfalls für die Zukunft fortgeschrieben werden.[6]
So wurde in einer im Auftrag der Gemeinde Everswinkel durchgeführten Untersuchung festgestellt, dass „der Einbruch bei den Zuzügen aus Münster nach Everswinkel, der die Wanderungsbilanzen in der jüngeren Vergangenheit geprägt hat, fast ausschließlich auf Verhaltenseffekte zurückzuführen ist“.[7] Anhand zahlreicher Argumente wird verdeutlicht, dass die konstatierten Verhaltenseffekte, die im Laufe der 2000er-Jahre zu einem starken Rückgang der Zuzüge aus dem Oberzentrum Münster geführt haben, als längerfristig wirksam anzusehen sind.[8]
Fiktive Wanderungsgewinne
In der aktuell vom Statistischen Landesamt als „Basisvariante“ vorgelegten Prognose, in der auch Aussagen über mögliche künftige Fort- und Zuzüge gemacht werden, wurde auf die detaillierte Analyse der Wanderungsbeziehungen zwischen Everswinkel und den Umlandgemeinden verzichtet. Ausdrücklich wird in den Anmerkungen zur „Modellrechnung 2018 bis 2040“ darauf hingewiesen, „dass die angewandte Berechnungsmethode … die zukünftige Entwicklung der Bevölkerung nicht adäquat abbildet“.[9] Insbesondere in Gemeinden, denen im Referenzzeitraum 2012 bis 2017 Schutzsuchende zugewiesen wurden und in denen infolgedessen schwankende Zu- und Fortzugszahlen zu verzeichnen waren, sind die prognostizierten Bevölkerungszahlen „mit einer höheren Unsicherheit behaftet.“[10]
Die vom Statistischen Landesamt verwendete Berechnungsmethode zur Fortschreibung der Wanderungsbewegungen prognostiziert für die Gemeinde Everswinkel bis zum Jahr 2040 Wanderungsgewinne. Allerdings kommt dieses Ergebnis nur unter der Voraussetzung zu Stande, dass die im Referenzzeitraum 2012 bis 2017 in Everswinkel vorgefundenen Bedingungen bis zum Ende des Prognosezeitraums Gültigkeit behalten.
Aufgrund der spezifischen Gegebenheiten in der Gemeinde Everswinkel im Hinblick auf die Wanderungsbewegungen im Referenzzeitraum, ist das Eintreten der den Berechnungen zugrundeliegenden Annahmen jedoch so gut wie unwahrscheinlich. De facto handelt es sich bei den vorgelegten Prognoseergebnissen um fiktive Werte, die als Grundlage für fundierte politische Entscheidungen wohl kaum geeignet sind.
Selbst beim Eintreffen der auf eher unwahrscheinlichen Annahmen basierenden prognostizierten Wanderungsgewinne, verharrt die Gemeinde Everswinkel weiterhin in der „Teufelsspirale“ der demografischen Instabilität: Die Bevölkerungsrückgänge bei den jüngeren Altersjahrgängen würden lediglich abgemildert, aber gleichzeitig würde der Anstieg des älteren Bevölkerungsanteils forciert. Dem Rückgang in Höhe von 392 bei den unter 65-Jährigen stünde dann ein Zuwachs von 1.694 in der Altersgruppe ab 65 Jahren im gleichen Zeitraum gegenüber. Der zu verzeichnende absolute Bevölkerungszuwachs würde zu Lasten einer noch stärkeren „Durchalterung“ der Kommune gehen (siehe Anlage 2).
Wanderungssaldo unter Nachbarkommunen gleich Null
Die vorstehend beschriebenen demografischen Veränderungen der Gemeinde Everswinkel treffen in modifizierter Form auf nahezu alle Kommunen in den Landkreisen des Münsterlandes zu. Das von vielen Bürgermeistern und Kommunalpolitikern in der Vergangenheit favorisierte „Anlocken“ von jungen Familien aus den Nachbarkommunen[11], erweist sich daher als ungeeignetes Mittel, dem demografischen Wandel zu begegnen. Jeder Zuwanderung steht eine Abwanderung in der Herkunftskommune gegenüber. Die Summe aller Zuwanderungen ist folglich gleich der Summe aller Abwanderungen und damit ist die Summe aller Binnenwanderungssalden innerhalb des Münsterlandes gleich Null.
Ignoranz der Fakten beenden – Schrumpfung akzeptieren
Optimisten und Pessimisten werden danach unterschieden, dass die einen dasselbe Glas als halb voll und die anderen als halb leer betrachten. Aber wichtig ist nicht, ob man Optimist ist oder Pessimist, sondern zu erkennen, dass das Glas einen Sprung hat und sich entleert.[12] Das Fazit kann daher nur lauten, sich den demografischen Veränderungen anzupassen und die Schrumpfung zu akzeptieren. Auch wenn in der vorherrschenden Wachstumsideologie Schrumpfungsprozesse nicht vorgesehen sind, müssen die Folgen des demografischen Wandels, die insbesondere durch die seit nunmehr über 40 Jahren zu geringen Geburtenrate entstanden sind, ernsthaft und nachhaltig angegangen werden.
Auch für die Gemeinde Everswinkel stellt sich die Frage, wie auf die veränderte Situation und die damit verbundenen Herausforderungen angemessen reagiert werden kann. Dabei ist es vor allem wichtig, sich von der Illusion zu verabschieden, den demografischen Wandel verhindern zu können. Dazu ist es zu spät. Es kann nur noch darum gehen, durch kluges Handeln die Auswirkungen zu mildern.
Statt die in der Vergangenheit durch die Mehrheit der Entscheidungsträger in der Gemeinde Everswinkel betriebene Politik des Ignorierens der Fakten fortzusetzen, sollten insbesondere im Rahmen der Aufstellung eines Gemeindeentwicklungskonzepts in einem ergebnisoffenen Dialog mögliche Lösungsansätze kommuniziert werden. Ein ergebnisoffener Dialog mit den Bürgern setzt allerdings voraus, dass sich der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker von ihrer bisher als alternativlos deklarierten Ausweisung von überdimensionierten Baugebieten für die Errichtung von Einfamilienhäusern verabschieden.[13]
In einem Artikel der Westfälischen Nachrichten vom 04. Mai 2007 zur demografischen Entwicklung in Everswinkel wird unter dem Titel „Gemeinde vor der Gretchenfrage“ Hans Carl von Carlowitz, der den Begriff der Nachhaltigkeit geprägt hat, mit dem nachfolgenden Gedanken zitiert: „Wir müssen handeln wie ein Forstwirt, der junge Eichen pflanzt. Wir werden davon nichts mehr haben, aber die nachfolgende Generation. Wir können die Voraussetzungen schaffen, dass sich etwas verbessert – wir können auch die Voraussetzungen schaffen, dass sich etwas verschlimmert.“[14]
Bleibt zu hoffen, dass auch in Everswinkel der Leitgedanke der Nachhaltigkeit nicht nur zitiert, sondern endlich auch umgesetzt wird.
Link zu Anlage 1:
Modellrechnung zur natürlichen Bevölkerungsentwicklung der Gemeinde Everswinkel von 2018 bis 2040 (Analysevariante)
Link zu Anlage 2:
Modellrechnung zur Bevölkerungsentwicklung der Gemeinde Everswinkel von 2018 bis 2040 unter Berücksichtigung von Zuzügen und Fortzügen (Basisvariante)
[1] Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens 2018 bis 2040/2060, Juli 2019.
[2] Artikel in den Westfälischen Nachrichten vom 20. Dezember 2005: Chancen erkennen und nutzen.
[3] Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Modellrechnung zur natürlichen Bevölkerungsentwicklung der Gemeinde Everswinkel von 2018 bis 2040 (Analysevariante).
[4] Birg, Herwig: Die alternde Republik und das Versagen der Politik. Eine demographische Prognose, 2014, Seite 141.
[5] Birg, Herwig: Ebenda, Seite 109.
[6] Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung: Entwicklungstrends und -perspektiven im suburbanen Raum. Eine Untersuchung am Beispiel der Gemeinde Everswinkel, 2013, Seite 32.
[7] Ebenda, Seite 26.
[8] Ebenda, Seite 26 ff.
[9] Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Statistisches Landesamt): Erläuterungen zur „ Modellrechnung zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2018 bis 2040, Seite 2.
[10] Ebenda.
[11] Anmerkung: Zum „Anlocken“ junger Familien siehe im Glossar das Stichwort „Kirchturmdenken“
[12] Birg, Herwig: Ebenda, Seite 171.
[13] Anmerkung: Zur Ausweisung künftiger Baugebiete in den Ortsteilen Everswinkel und Alverskirchen siehe insbesondere den Beitrag „Offensive für mehr Naturzerstörung“ vom 21. Dezember 2019.
[14] Artikel in den Westfälischen Nachrichten vom 04. Mai 2007: Gemeinde vor der Gretchenfrage.