Erneut kein sozialer Wohnungsbau in Everswinkel

Einen folgenschweren Beschluss fasste der Everswinkeler Gemeinderat in seiner Sitzung am 15. Dezember 2020: Die Entwicklung und Vermarktung des Baugebietes „Bergkamp III“ soll in „Eigenregie“ der Gemeinde erfolgen. Damit wurde zugleich die ursprünglich geplante Zusammenarbeit mit der landeseigenen Gesellschaft NRW.Urban offiziell für beendet erklärt. NRW.Urban hatte für den „Bergkamp III“ verbindlich die Berücksichtigung öffentlich geförderter Wohnungen gefordert.

Der Bürgermeister hatte bereits vor der Entscheidung im Gemeinderat die Vertragsverhandlungen mit NRW.Urban eigenmächtig abgebrochen, ohne – wie es demokratischen Gepflogenheiten entspricht – den Rat darüber zu informieren. „Schwierigkeiten“ bei den Vertragsverhandlungen hätten zu der aus der Sicht des Bürgermeisters unvermeidlichen Trennung von NRW.Urban geführt.[1]

NRW.Urban als treuhänderischer Entwicklungsträger

Baulandentwicklung ist aufwändig und benötigt personelle und finanzielle Ressourcen, die Städte und Gemeinden nicht immer aufbringen können. Das gilt auch für die Gemeinde Everswinkel bei der Entwicklung des Baugebietes „Bergkamp III“.

Im Rahmen der durch das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufenen „Kooperativen Baulandentwicklung“ steht die landeseigene „NRW.URBAN Kommunale Entwicklung GmbH“ interessierten Kommunen als „Entwicklungsgesellschaft auf Zeit“ zur Seite. So können sich Kommunen das notwendige Know-how sichern und behalten dabei über den gesamten Entwicklungszeitraum den vollen Einfluss. Das Angebot nutzen bisher bereits eine Reihe Everswinkeler Nachbarkommunen, wie z. B. Telgte, Münster und Beckum.

Neben dem Zugriff auf das Personal und Know-how von NRW.Urban und der damit einhergehenden Entlastung der eigenen personellen Kapazitäten gibt es eine Reihe weiterer Vorteile, die für eine Zusammenarbeit mit dem treuhänderischen Entwicklungsträger sprechen:

      • Zu jedem Projektschritt – An- und Verkauf sowie Festlegung der Kaufpreise der Grundstücke, Businessplan, Erschließung und Durchführung – behält die Kommune die vollständige Planungs- und Entscheidungshoheit.
      • Alle Erträge aus der Vermarktung fließen über die Projektabrechnung in den kommunalen Haushalt zurück.
      • URBAN sichert über einen Darlehensvertrag mit der NRW.BANK die Gesamtfinanzierung der Baulandentwicklung zu kommunalkreditähnlichen Konditionen, die durch eine Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gedeckt wird.
      • URBAN tätigt alle Investitionen wie zum Beispiel den treuhänderischen Grunderwerb in eigenem Namen auf Rechnung der Kommune. Somit wird der Haushalt der Kommune nicht belastet. [2]

Das sind komplexe Aufgaben, für die wir gern auch die Unterstützung von NRW.URBAN in Anspruch nehmen möchten“, so die Meinung des Bürgermeisters beim Einstieg in das Bauleitverfahren „Bergkamp III“.[3] Auch der Gemeinderat wurde überzeugt und plädierte 2018 einstimmig für die Zusammenarbeit mit NRW.Urban.[4]

Voraussetzung für eine „kooperative Baulandentwicklung“ mit NRW.Urban ist die Verpflichtung der jeweiligen Kommune, im Rahmen einer Zielvereinbarung rund 30 Prozent der entstehenden Bruttogeschossfläche für den geförderten Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen.

NRW.Urban will mit der Erfüllung dieser für die Zusammenarbeit zwingenden Voraussetzung im Auftrag des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) die Voraussetzung für sozial gerechtes Wohnen schaffen und die Chancen für einkommensschwächere Haushalte auf dem Wohnungsmarkt erhöhen.

Öffentlich geförderter Wohnungsbau in Everswinkel

Während in Everswinkel in den vergangenen Jahren Einfamilienhäuser weit über den tatsächlich erforderlichen Bedarf gebaut wurden, waren von 2014 bis 2018 gerade einmal drei Bewilligungsbescheide im öffentlich geförderten Wohnungsbau zu verzeichnen.[5] Mittelfristig wird für Everswinkel ein hoher Bedarf an öffentlich geförderten Mietwohnungen prognostiziert.[6]

Wiederholt war bei den Diskussionen um neue Baugebiete in der Vergangenheit die Forderung gestellt worden, zur Schaffung preiswerter Mietwohnungen eine verbindliche Quote im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus festzulegen. Dieser Wunsch hatte bisher aber weder die Unterstützung des Bürgermeisters, noch die Zustimmung der Mehrheitsfraktion im Gemeinderat erfahren.[7]

Einhellige Intention von Bürgermeister und Mehrheitsfraktion war bei der Baulandausweisung stets die Priorisierung von Einfamilienhausgrundstücken, um damit möglichst zahlungskräftige „Häuslebauer“ aus dem Umland nach Everswinkel zu locken.[8] Einkommensschwache Nachfrager nach preiswertem Wohnraum fanden dabei stets kaum Berücksichtigung.

Um in der Bevölkerung eine möglichst breite Akzeptanz zur erneuten Ausweisung eines Baugebietes am Ortsrand zu erhalten, wurde im Rahmen der Bauleitplanung „Bergkamp III“ in Aussicht gestellt, erstmals eine verbindliche Quote für die Schaffung preiswerten Wohnraums festzulegen.

Die Weigerung der Verwaltung, die Realisierung öffentlich geförderten Wohnraums im Bebauungsplan fest zu verankern, deutete aber bereits darauf hin, dass weder der Bürgermeister, noch die Mehrheit der Kommunalpolitiker ernsthaft an der Befriedigung der Wohnungswünsche einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus interessiert sind. Im Bebauungsplan wurden lediglich die baurechtlichen Möglichkeiten geschaffen, öffentlich geförderten Wohnraum errichten zu dürfen. Die Gemeinde selbst weist darauf hin, dass sich daraus aber keine Verpflichtung ergibt.[9]

Der Verzicht auf eine „kooperative Baulandentwicklung“ des „Bergkamp III“ mit NRW.Urban bestätigt erneut das mangelnde Interesse der Everswinkeler Entscheidungsträger an der Schaffung preiswerten Mietwohnungsbaus.

Da NRW.Urban ganz offensichtlich keine „Lex Everswinkel“ schaffen wollte und auf die Einhaltung der 30-Prozent-Quote öffentlich geförderten Wohnungsbaus bestand, wurden die Vertragsverhandlungen vom Bürgermeister kurzerhand für beendet erklärt.

Klientelpolitik statt Daseinsvorsorge für sozial Schwache

Die Entscheidung, auf die Zusammenarbeit mit NRW.Urban zu verzichten und das Baugebiet „Bergkamp III“ in „Eigenregie“ zu entwickeln, bedeutet de facto nichts anderes, als dass der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker fest entschlossen sind, die verfehlte Wohnungsbaupolitik der vergangenen Jahre fortzusetzen. Um die Eigenheimwünsche möglichst vieler kapitalkräftiger Investoren befriedigen zu können, ist eine maximale Vermarktung von Einfamilienhausgrundstücken erforderlich. Die Chance auf die Realisierung von öffentlich geförderten Wohnungen im „Bergkamp III“ sinkt damit gegen Null.

Durch die Forcierung des Einfamilienhausbaus ohne Berücksichtigung einer verbindlichen Quote im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus haben erneut sozial schwache Wohnungsnachfrager das Nachsehen.

Mit der Entscheidung, im „Bergkamp III“ ein Maximum an Einfamilienhäusern zu Lasten des Mietwohnungsbaus zu realisieren, wird sowohl der Natur, als auch den Bürgern Everswinkels ein erheblicher Schaden zugefügt.

Das Einfamilienhaus ist zwar nach wie vor „die beliebteste private Wohnform. Sie hinterlässt aber zweifellos auch den größten ökologischen Fußabdruck, verursacht für den Bauherrn hohe Kosten und führt bei der Kommune zu erheblich größeren finanziellen Auswirkungen, als verdichtete Wohnformen.“[10]

Nachhaltigkeit und Vorsorge gehen anders

Bereits im Haushaltsplan 2021der Gemeinde Everswinkel sind die nachteiligen Auswirkungen des in „Eigenregie“ zu entwickelnden Baugebietes „Bergkamp III“ für die gemeindlichen Finanzen unübersehbar.[11]

Die mit der Ausweisung von überwiegend Einfamilienhausgrundstücken betriebene Klientelpolitik führt nicht nur zu gravierenden Folgen für den Kommunalhaushalt. Sie verschlechtert auch durch eine stetig steigende Verkehrs- und Umweltbelastung die Lebensqualität der Everswinkeler Bürger.

Gefragt ist eine verantwortliche, dem Wohle aller Bürger – und damit auch der sozial schwächeren Bürger – dienende Sachpolitik, die durch nachhaltige Entscheidungen sowohl für die Natur als auch für den kommunalen Haushalt geprägt ist.

Link 1:
Stellungnahme von Bündnis 90/Die Grünen zum Bebbauungsplan Bergkamp III
Link 2:
Einwendungen gegen den Entwurf der Haushaltssatzung 2021 der Gemeinde Everswinkel

weiterführende Beiträge:
Kommunalpolitiker als „Lottofee“
Glossar: Bergkamp III
Everswinkel in der Demografiefalle

 

[1] Gemeinde Everswinkel: Haushaltsplan 2021, Seite 7.
[2] NRW.Urban: Bauland der Kommunen entwickeln. Abrufbar unter: https://www.nrw-urban.de/fileadmin/user_upload/nrw-urban/publikationen/Flyer_BauLandKommunal_final.pdf
[3] NRW.Urban: Journal 01/2019, Seite 8. Abrufbar unter: https://www.nrw-urban.de/fileadmin/user_upload/nrw-urban/publikationen/Urban_Journal_01_2019_final_web.pdf
[4] Gemeinde Everswinkel: Niederschrift der Sitzung des Gemeinderates vom 12. Juli 2018.
[5] Artikel in den Westfälischen Nachrichten vom 25. Mai 2018: Mittelfristig ein hoher Bedarf.
[6] Ebenda.
[7] Siehe beispielhaft Artikel in „Die Glocke“ vom 15. Juli 2017: Rat kippt Antrag auf sozialen Wohnungsbau.
[8] Siehe beispielhaft NRW.Urban: Journal 01/2019, ebenda, Seite 6.
[9]: Gemeinde Everswinkel: Begründung mit Umweltbericht zum Bebauungsplan Nr. 59 „Bergkamp III“, Dezember 2020, Seite 21.
[10] Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Gemeinde Everswinkel: Stellungnahme in der Sitzung des Gemeinderates am 15. Dezember 2020 zu TOP 13, Bebauungsplan Nr. 59 „Bergkamp III“.
Der Antrag kann über den obenstehenden Link 1 aufgerufen werden.
[11] Gemeinde Everswinkel: Vorlage 131/2020, Anlage 11 der Sitzung des Gemeinderates vom 15. Dezember 2020.
Die im Rahmen der Haushaltsberatungen abgegebene Stellungnahme kann über den obenstehenden Link 2 aufgerufen werden.