„Unsere Kinder sollen es mal schlechter haben als wir!“ Dieses Motto steht unausgesprochen über dem von der Mehrheit der Everswinkeler Kommunalpolitiker verabschiedeten Haushaltsplan für das Jahr 2020. Der Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung sehen für die kommenden vier Jahre erneut mehr Ausgaben als Einnahmen vor.[1] Durch die Einplanung von erheblichen finanziellen Mitteln für den Ankauf von Flächen, die der Bebauung vorwiegend mit Einfamilienhäusern dienen sollen, wird nicht nur das seit Jahren bestehende Finanzdesaster verschärft, sondern eine weitere Offensive für mehr Naturzerstörung gestartet.
Sackgassenlogik wird fortgesetzt
Der Bürgermeister und die Mehrheit der Kommunalpolitiker sind nach wie vor der Ansicht, mit einer seit Jahren propagierten Sackgassenlogik die Probleme lösen zu können: Durch die Ausweisung von Neubaugebieten und den daraus resultierenden Grundstücksverkaufserlösen soll möglichst rasch die kommunale Einnahmesituation verbessert werden. Langfristig entstehen dadurch allerdings immense Infrastrukturfolgekosten, die infolge des auch in Everswinkel nicht mehr zu leugnenden demografischen Wandels von immer weniger Bürgern zu tragen sind.[2]
Generationenvertrag gebrochen
Die in der Haushaltsrede des Bürgermeisters formulierte Zielsetzung, in beiden gemeindlichen Ortsteilen die Ausweisung von Neubaugebieten voranzutreiben[3] ist nicht nur eine Aufforderung zur kollektiven Ressourcenvernichtung in finanzieller Hinsicht. Die damit zwangsläufig einhergehende Naturzerstörung wird als Kollateralschaden billigend in Kauf genommen.
Der Versuch, zu suggerieren als hätten wir es in Everswinkel in Sachen Natur mit einem physikalisch grenzenlosen Universum zu tun, mit dem zum Bau von überflüssigen Einfamilienhaussiedlungen verschwenderisch umgegangen werden kann, stellt einen radikalen Bruch des Generationenvertrages dar. Unseren Kindern und Enkelkindern wird damit im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen entzogen.
Verachten der Wirklichkeit wenig hilfreich
Die insbesondere durch den demografischen Wandel verursachten Veränderungen erfordern auch in der Gemeinde Everswinkel einen kommunalpolitischen Paradigmenwechsel. Der sich zunehmend abzeichnende Bevölkerungsrückgang und eine gleichzeitige stark veränderte Altersstruktur[4] sowie eine Pluralisierung von Wohnwünschen, Lebensmodellen und Familienstrukturen führen zwangsläufig zu einer Reduzierung der quantitativen Nachfrage nach Einfamilienhäusern sowie zu einem Bedeutungsverlust des Wohnens im suburbanen Einfamilienhausgebiet insgesamt.[5]
Die Lösung der sich durch die gegenwärtig stattfinden gesellschaftlichen Veränderungen ergebenden Probleme erfordert allerdings von den kommunalen Entscheidungsträgern mehr als ein souveränes Verachten der Wirklichkeit und sicherlich auch mehr als Rücksichtslosigkeit gegenüber denen, an deren Zukunft Raubbau durch die weitere Ausweisung von Siedlungsflächen betrieben wird.
Kalkulierten Raubzug beenden
Dass Menschen dazu neigen, Tatsachen, die ihnen wohlbekannt sind nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie ihren herkömmlichen Vorstellungen widersprechen, ist ein allgemeines Phänomen.[6] Allerdings kann von seriösen Politikern auch auf kommunaler Ebene erwartet werden, dass sie statt populistische Verharmlosung zu betreiben, Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit zur ihren fundierten Prinzipien erheben. Es gehört zum kategorischen Imperativ gelebter Zukunftsfähigkeit, sich nicht schuldiger zu machen als unvermeidlich.[7]
Siedlungsentwicklung ist nur dann nachhaltig, wenn dafür keine weiteren Flächen jenseits heutiger Siedlungsgrenzen in Anspruch genommen werden. Der zukünftige Wohnbedarf der Everswinkeler Bevölkerung kann durch die Schaffung von kleinen Wohnungen vor allem für junge Leute, für Alleinstehende und für ältere Menschen durch Innenentwicklung und die Nachfolgenutzung der durch den Generationenwechsel an den Markt kommenden Bestandsimmobilien in ausreichendem Maße gedeckt werden.
Der Versuch, den demografischen Veränderungen in der Gemeinde Everswinkel durch das „Anlocken“ von jungen Familien zu begegnen,[8] stellt nichts anderes als einen kalkulierten Raubzug gegenüber der Natur und gegenüber den Nachbarkommunen dar.
Der Forderung nach Ausweisung weiterer Siedlungsflächen für die Einfamilienhausbebauung mit in der Regel weit über 100 Quadratmetern Wohnfläche ist aus ökologischen, demografischen und ökonomischen Gründen vor allem im Interesse der nachfolgenden Generationen eine Absage zu erteilen.[9]
[1] Gemeinde Everswinkel: Ergebnis- und Finanzplan für das Haushaltsjahr 2020 (Verabschiedet in der Sitzung des Gemeinderates am 17. Dezember 2019).
[2] Nach der im Juli 2019 von IT.NRW vorgelegten Bevölkerungsprognose gehen die Geburtenzahlen weiter zurück, während die Sterberate steigt. Die zukünftige natürliche Bevölkerungsentwicklung in Everswinkel ist daher rückläufig (siehe Modellrechnung zur Entwicklung der Bevölkerung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen 2018 – 2040, Ergebnisse der Analysevariante für die Gemeinde Everswinkel).
[3] Gemeinde Everswinkel: Haushaltsplan 2020, Seite 7.
[4] Siehe Fußnote 2.
[5] Vgl. Akademie für Raumforschung und Landesplanung: Ältere Einfamilienhausgebiete im Umbruch. Eine unterschätzte planerische Herausforderung – Zur Situation in Nordrhein-Westfalen, Positionspapier 109, Hannover 2018, Seite 7.
[6] Vgl. Arendt, Hanna: Wahrheit und Lüge in der Politik: Zwei Essays, 2. Auflage 1987, Seite 44 – 92.
[7] Vgl. Welzer, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, 2014, Seite 227.
[8] Anmerkung: In der Vergangenheit wurde vom Bürgermeister immer wieder propagiert, die „Chance zu nutzen, junge Familien nach Everswinkel und Alverskirchen zu locken“. Siehe z. B. Bericht in den Westfälischen Nachrichten vom 04. September 2007: Neue Flächen braucht das Dorf.
[9] Vgl. Stelthove, Karl: Rede des Fraktionssprechers von Bündnis 90/Die Grünen, 17. Dezember 2019.