Rückschritt per Kabinettsbeschluss
Eine Politik der Nachhaltigkeit, die auch unseren Enkelkindern und deren Nachkommen ein Leben in Würde und Erträglichkeit auf diesem Planeten ermöglicht, erfordert Mut. Sie erfordert Mut, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der schier unersättliche Ressourcenverbrauch mit Blick auf künftige Generationen begrenzt wird.
Dieser Mut fehlt der aktuellen schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen völlig. Statt beispielsweise die in den vergangenen Jahren eingeleiteten Bemühungen zur Reduzierung des Flächenverbrauchs fortzuführen und möglichst zu forcieren, vollzieht sie ein umweltpolitisches Rollback.
Per Kabinettsbeschluss und damit quasi per Federstrich sollen in einem sogenannten „Entfesselungspaket II“ Bestimmungen des nordrhein-westfälischen Landesentwicklungsplans, die dem gesamtgesellschaftlichen Ziel der Flächenreduzierung dienen, außer Kraft gesetzt werden.
Aus dem nach einem jahrelangen, unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Interessengruppen erst am 08. Februar 2017 in Kraft getretenen Landesentwicklungsplan soll die Forderung nach Reduzierung des täglichen Flächenverbrauchs in Nordrhein-Westfalen auf täglich 5 Hektar ersatzlos gestrichen und die Ausweisung von Bauland in kleinen Orten des ländlichen Bereichs erleichtert werden.
Leitbild der „flächensparenden Siedlungspolitik“ aufgegeben
Die bisher im Landesentwicklungsplan anvisierte Obergrenze von 5 Hektar stellt keine Festlegung im Sinne eines einklagbaren Rechtsanspruchs dar. Mit der Aufforderung, in Nordrhein-Westfalen lediglich 5-ha Fläche täglich zusätzlich für Siedlungs- und Verkehrsfläche in Anspruch zu nehmen, sollte dem konsensualen gesamtgesellschaftlichen Leitbild der „flächensparenden Siedlungsentwicklung“ entsprochen werden. Damit sollte auch ein Beitrag zur Harmonisierung der häufig als Gegensatz wahrgenommenen Beziehung zwischen Ökologie und Ökonomie geleistet und der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass eine nachhaltige Wirtschaft einen ambitionierten Klima-, Umwelt-und Ressourcenschutz erfordert.
Als geradezu desaströs muss vor diesem Hintergrund das vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Laschet propagierte Leitbild „Ökonomie vor Ökologie“[1] bewertet werden. Mit der Abwendung von einer flächensparenden Siedlungspolitik distanziert sich die schwarz-gelbe Landesregierung ohne Not von der übergeordneten Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes. Das Einknicken vor dem Druck von Industrie und Wirtschafts-Lobbyverbänden stellt nichts anderes als eine Bankrotterklärung dar.
Propaganda für ungehemmten Flächenverbrauch
Durch den als „Entfesselung“ deklarierten Paradigmenwechsel wird im bevölkerungsreichsten Bundesland ein im Hinblick auf den Flächenverbrauch getroffener breiter Konsens verlassen. Eine „Entfesselung“, um die Kräfte des Marktes wirken zu lassen, bedeutet nichts anderes, als einem ungehemmten Flächenverbrauch Vorschub zu leisten.
Mit einer breit angelegten Medienkampagne wird aktuell der Versuch unternommen, die ausschließlich der kurzfristigen Gewinnmaximierung dienenden, aber langfristig zum Schaden der Allgemeinheit führenden Maßnahmen positiv darzustellen.
Dabei ist der Begriff „Entfesselung“ durch eine Reihe historischer Beispiele negativ besetzt. Auch die „Entfesselung“ des Ersten Weltkrieges wurde ebenso wie die „Entfesselung“ des Zweiten Weltkrieges entsprechend propagandistisch begleitet.
Die Auseinandersetzung mit „Entfesselungsaktionen“ der Vergangenheit entzaubert schnell den Versuch, mit Hilfe zahlreicher Medien den ausschließlich kapitalistischen Interessen dienenden Maßnahmen in der breiten Öffentlichkeit einen positiven Touch zu verleihen.
Überspitzt formuliert stellt die Ansage „Ökonomie vor Ökologie“, die unter anderem mit Hilfe des aktuell beschlossenen „Entfesselungspaket II“ realisiert werden soll, nichts anderes als eine „Kriegserklärung“ gegenüber der Natur dar.
Sowohl die Mitglieder der nordrhein-westfälischen Landesregierung, als auch alle andere politischen Entscheidungsträger werden sich später einmal nicht damit rechtfertigen können, die auf die Zerstörung der Natur gerichteten politischen Entscheidungen in ihrem Ausmaß und ihrer Schärfe nicht gekannt zu haben.
Mut der Bevölkerung erforderlich
Nur wenn immer größere Teile der Bevölkerung den Mut haben, das als „Entfesselung“ getarnte Vergehen an der Zukunft nicht billigend in Kauf zu nehmen, sondern die Möglichkeiten der Demokratie endlich genutzt werden, kann eine wirksame Kurskorrektur eingeleitet werden.
[1] Siehe Artikel „Es geht um ihr Herzensanliegen“ in den Westfälischen Nachrichten vom 03. März 2016.