Dorfentwicklungskonzept Alverskirchen

Das Dorfentwicklungskonzept als Instrument
einer nachhaltigen Dorfentwicklung

Die Dörfer im ländlichen Raum des Münsterlandes stehen insbesondere durch unterschiedliche strukturelle Veränderungen und durch die demographische Entwicklung vor großen Herausforderungen. Vorausschauende Planung und die Erarbeitung von Zukunftsperspektiven in Form von Dorfentwicklungskonzepten sind zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben unabdingbar.

Beim Dorfentwicklungskonzept handelt es sich um ein örtliches Entwicklungskonzept, das eine Übersicht ermöglichen soll über künftiges Planen und Handeln im Dorf. In Nordrhein-Westfalen werden seit langem Konzepte gefördert, die mindestens folgende Kriterien erfüllen:

      • Analyse des Bestandes (Bevölkerungsentwicklung, Baulücken, Gebäudeleerstand, Infrastruktur)
      • Stärken-Schwächen-Analyse
      • Ableitung des Handlungsbedarfes
      • Darstellung der Entwicklungsziele und Leitprojekte
      • Erarbeitung des Konzeptes unter Beteiligung der Bevölkerung vor Ort unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung und der Reduzierung der Flächeninanspruchnahme.

Auch im Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen der Gemeinde Everswinkel wurde in der Vergangenheit zwar immer wieder die Erstellung eines Dorfentwicklungskonzepts erörtert, bis heute wurde aber kein Konzept entwickelt, dass die oben stehenden Kriterien erfüllt. 

Ein erster Entwurf:
Dorfentwicklungskonzept von 1993

Für den Ortsteil Alverskirchen wurde 1993 mit finanzieller Unterstützung des Landesamtes für Agrarordnung NRW ein Dorfentwicklungskonzept erstellt. Neben zahlreichen Vorschlägen zur Verbesserung und Gestaltung des Ortsbildes werden auch konkrete Hinweise zur zukünftigen Bauleitplanung gegeben. 

Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung
Unter Punkt 2.5 „Planungsvorgaben“[1] wird ausdrücklich auf die Sonderstellung des Ortsteils Alverskirchen im Landesentwicklungsplan hingewiesen:

Landesentwicklungsplan III – Umweltschutz durch Sicherung von natürlichen Lebensgrundlagen – (Freiraum, Natur und Landschaft, Wald, Wasser, Erholung) vom 15.09.1987 (MBl. NW. 1987, S. 1.676 /SMBl. NW 230):

„Mit Ausnahme der bebauten Ortslage Everswinkel ist das Gemeindegebiet als Freiraum bzw. Wald dargestellt.“  

Ebenso wie in dem heute gültigen Landesentwicklungsplan NRW und dem aktuellen Regionalplan Münsterland war der Ortsteil Alverskirchen bereits im LEP von 1987 als Freifläche ausgewiesen. Das bedeutet, dass die Inanspruchnahme von zusätzlichen Bauflächen in Alverskirchen seit  nunmehr 30 Jahren aus raumordnerischen Zielsetzungen auf den Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung begrenzt ist.

Die Autoren des Dorfentwicklungskonzepts schlagen deshalb vor, zukünftig keine großflächigen Erweiterungen vorzunehmen, wie sie der Bebauungsplan Nr. 37 (Baugebiet Ernst-Tertilt-Straße) noch vorsah, sondern Abrundungen an bestehenden Baugebieten. „Damit sollen Flächen vorgehalten werden, die die Eigenentwicklung des Ortes fördern.“[2]

„Eine Bebauung der Freifläche zwischen Wald und dem Friedhof sollte aus ökologischer Sicht unterbleiben“, heißt es in dem vorgelegten Konzept weiter.[3]

Kontraproduktives Verhalten
Genau zwischen Wald und Friedhof wurde nur wenige Jahre nach Erstellung des Dorfentwicklungskonzepts das überwiegend für Ortsfremde konzipierte Baugebiet „Vinckenbusch“ ausgewiesen.

Dieses Vorgehen ist umso unverständlicher, da sich unter dem Stichwort „Historische Siedlungsentwicklung“[4] sowohl kritische Anmerkungen zur Ausweisung des Baugebietes „Ernst-Tertilt-Straße“, als auch Handlungsempfehlungen für die Zukunft finden.

Zum Baugebiet „Ernst-Tertilt-Straße“ heißt es: „Nach Aussage der Gemeindeverwaltung ist die Nachfrage nach den Baugrundstücken sehr hoch, wobei nicht nur Ortsfremde, sondern auch Alverskirchener künftig dort wohnen möchten.“[5]

Vor dem Hintergrund, dass im Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen nur neue Bauflächen für den Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung ausgewiesen werden dürfen, handelt es sich hier um eine bemerkenswerte Formulierung, die deshalb noch einmal wiederholt wird:

„…wobei nicht nur Ortsfremde, sondern auch Alverskirchener dort wohnen möchten.“

Im Dorfentwicklungskonzept wird an der Veräußerung der Baugrundstücke an Ortsfremde explizit Kritik geübt:

Das Baugebiete (Ernst-Tertilt-Straße) erschließt ca. 45 Baugrundstücke, die zur Deckung des Alverskirchener Eigenbedarfs mittel- bis langfristig ausreichen würden. Durch die Ansiedlung von Ortsfremden muss aber bereits heute über mögliche Erweiterungen der Bauflächen nachgedacht werden, um auch künftig den vermutlich noch steigenden Bedarf abdecken zu können. Um die Bauplatzreserve für Alverskirchener Bürger und dort Beschäftigte möglichst lange zur Verfügung zu haben, sollten Auswärtige nur teilweise dort bauen dürfen.“[6] 

Schlussfolgerung
Die Hinweise im Dorfentwicklungskonzept zur Ausweisung des Ortsteils Alverskirchen im Landesentwicklungsplan als Freifläche und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die weitere Baulandausweisung passten ganz offensichtlich nicht in das auf Expansion angelegte Konzept der Gemeindeverwaltung und der Mehrheit der Kommunalpolitiker.

Das Dorfentwicklungskonzept 1993 wurde nicht weiter verfolgt.[7]

2009:
Entscheidung gegen ein Dorfentwicklungskonzept

„Im Zusammenhang mit der Teilnahme am Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ sei vielfach der Wunsch geäußert worden, ein Dorfentwicklungskonzept zu erstellen. Die Inhalte eines solchen Konzeptes können sehr vielfältig sein: Nach einer Bestandsanalyse mit Ermittlung der Stärken und Schwächen können Ziele und Visionen entwickelt werden, die letztendlich in Handlungs- und Umsetzungsstrategien münden.[8] 

Diese in der Vorlage zur Sitzung des Bezirksausschusses Alverskirchen formulierten Erläuterungen zur Bedeutung eines Dorfentwicklungskonzepts wurden vom Bürgermeister um einige Hinweise auf die möglicherweise entstehenden Kosten ergänzt, die ganz erheblich vom Umfang und der Aufgabenstellung abhängig seien. Es gehe jedoch nicht darum, bereits Umfang und Inhalte des Konzepts festzulegen, sondern um die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen ein Dorfentwicklungskonzept, führte der Bürgermeister in der Sitzung weiter aus.[9] 

Sachkundiger Bürger Hoyer hält ein Dorfentwicklungskonzept  „zwar für sinnvoll, aber augenblicklich nicht für notwendig und für nicht finanzierbar“. Er schlägt daher vor, das Dorfentwicklungskonzept zurückzustellen und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise abzuwarten. [10]

„Ratsmitglied Wolk hält das Konzept für erforderlich. Es sei zwingende Voraussetzung, um zu entscheiden, wie Alverskirchen sich weiterentwickeln könne. … Ein solches Konzept gehöre zeitlich auch vor die Ausweisung weiterer Bauflächen.“ [11]

Der Bürgermeister beendete die Diskussion mit dem Vorschlag, „die Erarbeitung eines Dorfentwicklungskonzeptes durch einen Planer nicht weiter zu verfolgen [12] und stattdessen auf ehrenamtlicher Basis durch das Bürgerteam (BTA) [13] „Zukunftsideen für den Ortsteil zu entwickeln“. [14]

Daraufhin wurde mit einer Gegenstimme mehrheitlich der Beschluss gefasst, die Fortschreibung eines Dorfentwicklungskonzeptes Alverskirchen nicht weiter zu verfolgen und dem BTA für eigene Konzepte einen Betrag von bis zu 2.500 € zur Verfügung zu stellen.[15]

2009 – 2017: Ziel ist ein Leitbild

Aufgrund der knappen Kasse in der Kommune musste die Idee der Erstellung eines umfangreichen Dorfentwicklungskonzepts gekippt und durch die eines kostengünstigeren Leitbildes abgelöst werden.“[16]  Der Vorsitzende des BTA versicherte, „wir kriegen das auch ohne Planer aus Dortmund hin.“[17] 

„Ungebremstes Wachstum“ versus „Dörflicher Charakter“
Dem Ziel, ein Leitbild zu entwickeln, diente im April 2009 eine vom BTA durchgeführte Veranstaltung unter dem Titel „Wie soll Alverskirchen im Jahr 2020 aussehen?“ Die Moderatoren von der Unternehmensberatung „Pro-t-in“ wiesen in der Veranstaltung darauf hin, dass wichtige Fragen der Zukunft des Ortes beantwortet werden müssen. So müsse beispielsweise über die beiden Gegenpole „Ungebremstes Wachstum“ versus „Dörflicher Charakter“ nachgedacht werden. [18]

Überlegungen zu Alverskirchen im Jahr 2030
Im März 2010 referierte auf Einladung des BTA der Geschäftsführer des Büros „planinvent“, Dr. Frank Bröckling, zum Thema „Dorfentwicklungskonzept“. Ein Dorfentwicklungskonzept biete den Vorteil einer fächerübergreifenden Betrachtung der relevanten Aufgabenfelder, war seine Kernaussage. Für eine nachhaltige Entwicklung des Dorfes sei es wichtig, Überlegungen anzustellen, „wie Alverskirchen im Jahr 2020 oder 2030 aussehen soll und was getan werden muss, um diese Ziele zu erreichen. Es seien also Leitbilder, Konzepte und Handlungsansätze zu formulieren“.[19] 

„Eine Vision für unser Dorf im Jahr 2025“
Am 07. und 08. Mai 2011 führte das Bürgerteam eine zweitägige Zukunftswerkstatt unter Leitung von Dr. Winfried Kösters durch. Bei der Veranstaltung unter dem Titel „Alverskirchen – Eine Vision für unser Dorf im Jahr 2025“ ging es darum, Konzepte und Visionen zu entwickeln, wie Alverskirchen dem demographischen Wandel begegnen kann. „Welche Leitziele setzen wir uns, und was müssen wir tun, damit diese Ziele erreicht werden können“, lauteten die vom Moderator gestellten Fragen. [20] 

2017:
Wunsch nach einem integrierten kommunalen Entwicklungskonzept

Auch im Jahr 2017 hat Alverskirchen am Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ teilgenommen. Der Wettbewerb dessen Ursprünge auf Bundesebene bis in das Jahr 1961 zurückreichen, will insbesondere dazu anregen, Stärken, Schwächen und Chancen zu analysieren und daraus ein ganzheitliches Konzept für die Entwicklung des Ortes zu erarbeiten. Wesentlich für die Bewertung bei der Teilnahme am Wettbewerb sind daher die von der Dorfgemeinschaft entwickelten Konzepte und Pläne in Form von Leitbildern und Entwicklungsstrategien.

Das Fehlen eines Dorfentwicklungskonzeptes war in der Vergangenheit von der Bewertungskommission moniert worden. So heißt es in dem Beratungsbrief der Landesbewertungskommission anlässlich der Teilnahme am Wettbewerb 2008/2009: „Ein Dorfentwicklungskonzept aus dem Jahre 1993 ist nicht weiter verfolgt worden und wurde auch nicht vorgestellt. Es wird davon ausgegangen, dass das jetzige Dorfentwicklungskonzept vollständig neu erstellt wird.“ [21]  „Ein großer konzeptioneller Zusammenhang ist nicht klar zu erkennen“, bemängelte die Jury.

Bereits im Jahre 2005 hatte der ehemalige Chef der Landesbewertungskommission unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass alle Maßnahmen von Bürgern und Vereinen ein fehlendes Leitbild nicht aufwiegen können. [22]

Offensichtlich hat der Vorsitzende des BTA das Manko eines nach wie vor fehlenden Dorfentwicklungskonzeptes nun zum Anlass genommen, um mit der Gemeinde und der Politik Gespräche über ein „Integriertes  kommunales Entwicklungskonzept (IKEK), bei dem Fördergelder winken, zu führen.[23]

 

[1] Landesamt für Agrarordnung NRW (Auftraggeber): Dorfentwicklungskonzept Alverskirchen (im Folgenden zitiert als Dorfentwicklungskonzept), Endfassung Juni 1993, Seite 23.
[2] Dorfentwicklungskonzept, Seite 70.
[3] Dorfentwicklungskonzept, Seite 42 und Seite 70.
[4] Dorfentwicklungskonzept, Seite 27.
[5] Dorfentwicklungskonzept, Seite 27.
[6] Dorfentwicklungskonzept, Seite 27.
[7] Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Beratungsbrief zum Landeswettbewerb 2008/2009, Seite 1.
[8] Gemeinde Everswinkel, Vorlage 029/2009 zur Sitzung des Bezirksausschusses am 24.03.2009.
[9] Gemeinde Everswinkel, Niederschrift der Sitzung des Bezirksausschusses vom 24.03.2009, Seite 12.
[10] Ebenda, Seite 12.
[11] Ebenda, Seite 12.
[12] Ebenda, Seite 13.
[13] Beim Bürgerteam handelt es sich um einen örtlichen Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat „das charakteristische Erscheinungsbild unseres Dorfes als Bestandteil der Münsterländer Parklandschaft
zu erhalten …“
[14] Westfälische Nachrichten vom 26.03.2009), Artikel: Bürgerteam sammelt Ideen.
[15] Gemeinde Everswinkel, Niederschrift der Sitzung des Bezirksausschusses vom 24.03.2009, Seite 13.
[16] Westfälische Nachrichten vom 02.04.2011, Artikel: Neue Anreize für die Zukunft.
[17] Westfälische Nachrichten vom 26.03.2009, Artikel: Bürgerteam sammelt Ideen.
[18] Westfälische Nachrichten vom 20.04.2009, Artikel: Ziel ist ein Leitbild.
[19] Westfälische Nachrichten vom 19.03.2010, Artikel: Gute Ausgangsposition nutzen.
[20] Westfälische Nachrichten vom 09.05.2011, Artikel: Bürger-Team veranstaltet zweitägige Dorf-Werkstatt zum Thema Demografie.
[21] Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Beratungsbrief zum Landeswettbewerb 2008/2009, Seite 1.
[22] Westfälische Nachrichten vom 15.04.2005, Artikel: Die Suche nach dem „roten Faden“ für alle.
[23] Westfälische Nachrichten vom 29.03.2017, Artikel: Zeit fürs große Dorf-Puzzle.