Vollzugsdefizit

Ein Vollzugsdefizit liegt vor, wenn eine Rechtsnorm (z. B. eine Bestimmung des Regionalplans) praktisch nicht oder nur unzureichend umgesetzt wird.

Vollzugsdefizite sind nach wie vor besonders häufig im Bereich des Umweltschutzes festzustellen. So verfügt Deutschland über eine Vielzahl von Instrumenten des Raumordnungs- und Bauplanungsrechts sowie des Naturschutz- und Fachplanungsrechts im Hinblick auf den Schutz von Freiräumen und eine nachhaltige Siedlungsentwicklung. Tatsächlich werden die Bestimmungen häufig aus Unkenntnis oder mangelnder Einsicht nicht umgesetzt.

So findet auf Grund erheblicher Vollzugsdefizite der prozentual größte Siedlungsflächenzuwachs nach wie vor dort statt, wo es aus raumplanerischer Sicht nicht vorgesehen ist  - in kleinen und kleinsten Gemeinden.[1]

Als Beispiel für ein eklatantes Vollzugsdefizit kann hier der mangelnde Wille der Beteiligten bei der Umsetzung der Bestimmungen des Regionalplans Münsterland in Bezug auf die Ausweisung von Siedlungsflächen in sog. Eigenentwicklungsortsteilen angeführt werden.

Die Rechtskonstruktion des § 6 BauGB sieht vor, dass die Bezirksregierung Münster quasi als „Hüterin des Regionalplans“ zu fungieren hat. So hat sie vor dem in Kraft treten von Flächennutzungsplanänderungen zur Ausweisung von Siedlungsfläche in Eigenentwicklungsortsteilen eine präventive – also der Fehlervermeidung dienende – Prüfung der zwingend vorgesehenen Bedarfsnachweise vorzunehmen. Werden - wie im Fall des Eigenentwicklungsortsteils Alverskirchen - entweder gar keine oder nur unzulängliche Bedarfsgutachten vorgelegt, liegt ein Verstoß gegen die Ziele der Raumordnung vor. Bei einem Verstoß gegen die Ziele der Raumordnung hat die Bezirksregierung die Genehmigung zur Änderung des Flächennutzungsplans zu verweigern.

In der Vergangenheit hat die Bezirksregierung der Gemeinde Everswinkel stets die Genehmigung zur Ausweisung von Siedlungsfläche im Eigenentwicklungsortsteil Alverskirchen erteilt, obwohl entweder gar kein oder nur ein unzulänglicher Bedarfsnachweis vorlag.

Mehrere Urteile des OVG NRW aus der jüngsten Vergangenheit konstatieren ein eklatantes Vollzugsdefizit der Bezirksregierung Münster im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen des Regionalplans auch in weiteren Fällen.[2]

So kommt das OVG in einem Urteil vom 05.05.2015 zu dem Ergebnis, dass ein Bebauungsplan der Stadt Stadtlohn unwirksam ist, da er gegen die Ziele der Raumordnung verstößt. Auch in diesem Fall hatte die Bezirksregierung Münster gegen die Änderung des Flächennutzungsplans keine Bedenken erhoben. Das OVG glaubt in diesem Fall sogar erkennen zu können, dass die Bezirksregierung Münster die Stadt Stadtlohn bei der „regionalwidrigen Erweiterung bewusst und wider besseren Wissens“ unterstützt hat, was entsprechend des Urteils des OVG „nur als Missachtung und Umgehung der einschlägigen planungsrechtlichen Vorschriften verstanden werden“ kann.[3]

Gesetzliche Regelungen, die nicht durchgesetzt werden bzw. deren missbräuchliche Anwendung von oberster Stelle geduldet wird, sind nichts wert. Das Recht darf in der Kommunalpolitik nicht so weit zurückgedrängt werden, dass es ignoriert und verletzt wird; es ist eine essentielle Basis der Kommunalpolitik.

Die bestehenden Vollzugsdefizite – hier exemplarisch dargestellt anhand der mangelhaften Umsetzung des Regionalplans Münsterland – sind im Interesse der Natur und damit im Interesse der Allgemeinheit zu beseitigen.

Fußnoten
[1]
Zu diesem Befund kommen zahlreiche wissenschaftliche Analysen.
Beispielhaft wird hier verwiesen auf:
1) Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Nachrichten 2/2004, Seite 3: Flächenhaushaltspolitik. Ein Beitrag zur nachhaltigen Raumentwicklung.
2) Schwabedahl, Felix: Die (fehlende) regionalplanerische Steuerung des Wachstums kleiner Ortschaften. Ein Vergleich der Festlegung zur Eigenentwicklung in den Regionalen Raumordnungsprogrammen Niedersachsens, 2009, Seite 2.
[2] Vgl. OVG-Urteil vom 05. Mai 2015 zum Bebauungsplan Nr. 78 „Wohngebiet am Owwering“ der Stadt Stadtlohn.
Vgl. OVG-Urteil 10 D 44/12.NE vom 05.05.2015, Seite 12, Randnummer 86 (Bebauungsplan „Nördlich Böckenholt“ der Gemeinde Heiden).
Vgl. OVG-Urteil 10 D 21/12 vom 21.04.2015.NE, Seite 21, Randnummer 119 (Bebauungsplan „Westmünsterland Gewerbepark A 31“).
[3]  OVG-Urteil vom 05. Mai 2015 zum Bebauungsplan Nr. 78 „Wohngebiet am Owwering“ der Stadt Stadtlohn, Seite 9.